Wir lassen sie verhungern
was uns vereint, unsere Menschlichkeit ist … Das große Geheimnis des Lebens können wir nicht verstehen … So viele Dinge müssen getan werden, und so wenig, von dem, was wir tun, ist erfolgreich.«
So entstand zwischen uns eine freundschaftliche Beziehung mit eher komischen politischen Folgen.
Miteinander bekannt gemacht hat uns Jean-Jacques Graisse bei einem Mittagessen im Restaurant Port-Gitana in Bellevue am Ufer des Sees, unweit von Genf. Morris hatte mich daraufhin als Sondergast zu der WFP-Konferenz in Dublin im Juni 2004 eingeladen. Alle vier Jahre kommen bei diesen Konferenzen die regionalen Direktoren und Direktorinnen zu einer Diskussion über die von der Organisation vorgeschlagenen Strategien zusammen.
Die Zeit von Josué de Castro war schon seit Jahrzehnten vorbei, und niemand im WFP (oder der FAO) erinnerte sich noch an das Recht auf Nahrung. Innerhalb des Systems der Vereinten Nationen waren die Menschenrechte eine Angelegenheit des Menschenrechtsrats, nicht der Sonderorganisationen. Das WFP betrachtete sich damals als humanitäre Hilfsorganisation, und damit basta.
In Dublin plädierte ich für einen normativen Ansatz und damit für strukturelle, wirtschaftliche und soziale Veränderungen. Belgasmi, Graisse und Morris unterstützten mich.
Am 10. Juni, dem letzten Tag der Konferenz, ließ Morris über eine Resolution abstimmen, nach der von diesem Tage an die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung das strategische Ziel des WFP sein sollte. 177
Wie berichtet, setzten gleichzeitig im Menschenrechtsrat in Genf und in der 3. Kommission der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York, wo ich zwei Mal im Jahr meine Berichte vorlegte und meine Vorschläge unterbreitete, die verschiedenen amerikanischen Botschafter und Botschafterinnen ihre heftigen Angriffe gegen mich fort. Sie bestritten die Existenz eines wie auch immer gearteten Menschenrechts auf Ernährung.
Ganz anders Morris: Unter Aufbietung all seiner Energie und seines diplomatischen Geschicks verteidigte er fortan dieses Recht. Als Exekutivdirektor des WFP wurde er regelmäßig eingeladen, vor dem Sicherheitsrat über die Ernährungssituation in der Welt zu berichten.
Bei diesen Anlässen zitierte er mich zwei Mal mit den Worten: »Mein Freund Jean Ziegler, dessen politische Ansichten ich in keinem Punkt teile …«
Dieser Umstand sorgte für tiefe Verstörung bei Botschafter Warren W. Tichenor, dem Sondergesandten von George W. Bush in Genf. Bald traute er sich nicht mehr in den Menschenrechtsrat. Stattdessen schickte er seinen Stellvertreter Mark Storella, einen arroganten Italoamerikaner, der natürlich damit fortfuhr, mich zu diffamieren. Für die Diplomaten der amerikanischen Mission in Genf – wie für deren Kollegen in New York –, blieb ich der sein UN-Mandat missbrauchende Kryptokommunist, den sie angeblich enttarnt hatten: »Sie verfolgen einen verborgenen Plan!« »Sie führen einen geheimen Kreuzzug gegen die Politik unseres Präsidenten!« Wie oft habe ich mir diese idiotischen Vorwürfe anhören müssen!
Mehrfach haben sie meine Abberufung verlangt. Doch die Freundschaft des UN-Generalsekretärs Kofi Annan und das diplomatische Geschick des Hohen Kommissars für Menschenrechte Sergio Vieira de Mello haben schließlich doch mein Mandat gerettet. Allerdings das letzte Mal mit knapper Not …
Für Botschafter Tichenor war Jim Morris sakrosankt. Als Schwergewicht der Republikanischen Partei und unerhört reicher Geschäftsmann unabhängig von der Administration, konnte Jim Morris jederzeit den Hörer abnehmen und das Weiße Haus anrufen. Ich weiß allerdings nicht, ob er mit seinem Freund George W. Bush jemals über das Recht auf Nahrung gesprochen hat.
Am Ende seiner Kräfte, völlig erschöpft, hat Jim Morris Rom im Frühjahr 2007 verlassen. Er kehrte zu seinen alten Geschäften zurück.
Heute ist er Präsident und Generaldirektor der IWC Resources Corporation und der Indianapolis Water Company , die seine Stadt mit Wasser versorgen. Außerdem gehört ihm eine der bekanntesten Basketballmannschaften der USA, die »Indiana Pacers«.
Ich verdanke ihm zu einem großen Teil mein Überleben als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.
176 Internationales Komitee vom Roten Kreuz.
177 Der englische Titel der Resolution ist aufschlussreich: [Resolution] on the rights based approach to hunger / [Resolution] »über einen normativen Hungerbegriff«.
2
Der große Sieg des Raubgesindels
Während all der
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