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Wir lassen sie verhungern

Wir lassen sie verhungern

Titel: Wir lassen sie verhungern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziegler Jean
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stellte er eine Kolonne von dreißig »27-Tonnern« des WFP zusammen, bis oben hin beladen mit Reis und Weizen, Milchpulverkisten und Wasserkanistern.
    Einem amerikanischen Oberst, der sein üblicher Kontaktmann im operativen Hauptquartier in Kabul war, ließ er die folgende Nachricht zukommen: »Unsere Lastwagen fahren morgen früh um 7 Uhr vom Khyberpass kommend auf afghanisches Gebiet und nehmen die Straße nach Jalalabad. Bitte um Information des operativen Einsatzkommandos der Luftwaffe. Ich verlange auf der Route, deren Koordinaten beigefügt sind, bis morgen Abend, bis zum Einbruch der Dunkelheit, einen absoluten Bombardierungsstopp.«
    Bei Anbruch des bezeichneten Tages gab Belgasmi das Signal zum Aufbruch. Die Antwort des amerikanischen Obersten erreichte ihn erst jenseits von Torkham Gate, als die Kolonne schon auf afghanischem Territorium unterwegs war.
    Der Amerikaner forderte ihn auf, die Fahrt augenblicklich abzubrechen.
    Auf der kurvenreichen Straße vom Pass hinab nach Jalalabad setzten die Lastwagen des WFP ihre Fahrt fort …
    Daly Belgasmi saß in der Fahrerkabine des ersten Lastwagens.
    Jahre später habe ich diesen Vorfall von Jean-Jacques Graisse erfahren, graue Eminenz und stellvertretender Exekutivdirektor des WFP.
    Ich sagte zu ihm: »Aber Daly hätte umkommen können!«
    Lachend gab mir Graisse zur Antwort : »Schlimmer noch! Hätte er einen einzigen Lastwagen verloren, hätten wir ihn auf der Stelle vor die Tür gesetzt!«
    2011 ist Daly Belgasmi Regionaldirektor des WFP für den Mittleren Osten und Nordafrika mit Sitz in Kairo. Wie ein Löwe kämpft er fast jeden Tag gegen die israelischen Offiziere in Karni, dem Grenzübergang zwischen Israel und dem Gaza-Getto, für die Lastwagen des WFP. Jeder Lastwagen mit Hilfslieferungen, der durchkommt und die unterernährten Kinder, Frauen und Männer im Gazastreifen erreicht, ist für ihn ein persönlicher Sieg.
    Ein andere beeindruckende Persönlichkeit, die ich beim WFP kennengelernt habe, ist Jim Morris. Ein Mensch, der sehr ungewöhnlich ist. Dieser sympathische Riese – fast zwei Meter groß, weißhaarig, massig, aus dem Mittleren Westen stammend – wurde von seinem langjährigen Freund Präsident George W. Bush auf den Posten des Exekutivdirektors des WFP gehievt.
    Der Milliardär James T. Morris besitzt gutgehende Unternehmen in Indianapolis. Er hat Regierungsmandate wahrgenommen, war für Wohltätigkeitsfonds tätig und hat erheblich zum Präsidentschaftswahlkampf von George W. Bush beigetragen. Das Weiße Haus schuldete ihm einen hübschen Posten.
    Ein Ministeramt? Der Gedanke gefiel Morris nicht, er wollte reisen. Botschafter? Nicht bedeutend genug für seinen Geschmack. Blieb die Direktion einer großen internationalen Organisation. Das war das WFP.
    Voller Neugier und wild entschlossen, Gutes zu tun, brach Morris, der beschauliche Großvater, nach Rom auf, als ginge es auf den Mond. Er hatte absolut keine Ahnung von all der Massenvernichtung durch den Hunger und von dem Kampf, den das WFP führt.
    Kaum ernannt, machte Morris eine Weltreise. Er besuchte jedes der 80 Länder, in denen das WFP tätig ist.
    Er inspizierte Dutzende Baustellen des Programms »Nahrung für Arbeit« und Hunderte Ernährungszentren, in denen die Kinder mit intravenösen Sonden behandelt und – in vielen Fällen – langsam wieder ins Leben zurückgeholt werden. Er besuchte die Schulen und die Küchen für die Schulspeisung, und er beschäftigte sich mit den Opferzahlen. Er sah Kinder mit dem Tod ringen, verzweifelte Mütter, Väter mit leerem Blick.
    Entsetzen erfasste ihn.
    Ich erinnere mich an eine seiner häufig wiederkehrenden Bemerkungen: »This can not be …« (Das kann doch nicht sein …)
    Mit seiner ungeheuren Energie und der ganzen Erfahrung eines Mannes, der sich ein Wirtschaftsimperium aufgebaut hat, stürzte er sich in die Arbeit.
    Morris ist ein gläubiger Christ, der der episkopalischen Kirche angehört. Manchmal, wenn er erzählte, habe ich Tränen in seinen Augen gesehen.
    In einigen Briefen, die er mir schrieb, werden seine Beweggründe sehr klar: »Lieber Herr Ziegler, danke für all das Gute, das Sie tun. Ich schätze Ihr Engagement für die Armen und Hungernden der Welt … Es ist sehr traurig, dass uns so viele Menschen brauchen, vor allem die ganz Kleinen. Viel Glück. Jim.«
    Oder dieser: »Jeder von uns muss Tag für Tag alles, was in seiner Kraft steht, für andere tun, egal, ob sie uns nahe oder fern sind. Ich weiß nur, dass das,

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