Wir lassen sie verhungern
gehen, um sich die Zähne zu putzen und die Hände zu waschen, geht der Pädagoge noch einmal hinein, um sich davon zu überzeugen, dass alle Mahlzeiten aufgegessen wurden und dass nicht unter den Pulten versteckt noch volle oder halbvolle Teller stehen …
Die Liebe zu ihrer Familie spielt bei den Kleinen eine große Rolle. Essen, während die Ihren zu Hause hungern müssen, stellt ihre Loyalität, ihre Solidarität auf eine harte Probe. Daher ist es einigen von ihnen lieber, vom Hunger gequält zu fasten, als von Gewissensbissen gequält zu essen …
Aber tragischerweise stellt sich das Problem heute kaum noch, weil die meisten Schulspeisungen eingestellt worden sind.
Am 22. Oktober 2008 haben sich die 17 Staats- und Regierungschefs der Eurozone im Elyséepalast in Paris versammelt. Um 18 Uhr sind Angela Merkel und Nicolas Sarkozy auf der Freitreppe vor die Presse getreten. Dort haben sie den Journalisten erklärt: »Wir haben gerade 1700 Milliarden Euro freigestellt, um den Interbankenkredit anzukurbeln und um die Eigenkapitalquote der Banken von 3 auf 5 Prozent zu heben.«
Noch vor Ende 2008 gingen die Hilfsgelder der Eurozone für die Nahrungsmittelsoforthilfe um fast die Hälfte zurück. Das normale Budget des WFP betrug rund 6 Milliarden Dollar. 2009 fiel es auf 3,2 Milliarden.
Das WFP sah sich gezwungen, die Schulspeisungen in vielen Ländern, auch in Bangladesch, einzustellen.
Seither müssen eine Million kleine Mädchen und Jungen in Bangladesch ohne die Mahlzeiten auskommen. Später werde ich noch einmal auf die Mission zurückkommen, die ich 2007 in Bangladesch durchführte. Damals habe ich viele Schulen in Dhaka, Chittagong und andernorts besichtigt. Es war offensichtlich, dass viele dieser Kleinen mit den großen schwarzen Augen und schmächtigen Körpern die einzige nahrhafte Mahlzeit des Tages in ihrer Schule erhielten.
Ich erinnere mich auch an eine mehrstündige Sitzung im Büro des Erziehungsministers in Dhaka. Meine Mitarbeiter und ich kämpften, unterstützt von dem örtlichen Vertreter des UNDP, verbissen darum, dass die Schulen in Bangladesch nicht mehr während der großen Ferien geschlossen wurden, mit anderen Worten, darum, dass die Kinder an zwölf Monaten im Jahr ihre tägliche Mahlzeit bekamen. Der Minister lehnte ab.
Heute ist die Frage gegenstandslos geworden. Denn inzwischen hat das WFP, wie schon ausgeführt, die meisten seiner Schulspeisungen abgeschafft.
Für 2011 hatte das WFP seinen nicht einschränkbaren Bedarf auf 7 Milliarden Dollar beziffert. Bis Anfang Dezember 2010 hatte es 2,7 Milliarden Dollar erhalten. Dieser Rückgang der Einnahmen hat dramatische Konsequenzen.
Den Fall Bangladesch konnte ich aus eigener Anschauung verfolgen.
In diesem besonders bevölkerungsreichen, armen und den klimatischen Risiken besonders ausgesetzten Land verloren 2009 acht Millionen Männer, Frauen und Kinder alle Einkünfte und befanden sich nach den Worten des WFP »am Rande des Verhungerns« ( on the edge of starvation ). Schuld war das Zusammenwirken zweier Katastrophen: die Verwüstung weiter landschaftlicher Flächen durch einen Monsun von extremer Heftigkeit und die Schließung einer großen Zahl von Textilfabriken, die die ganze Wucht der Weltfinanzkrise ungebremst zu spüren bekamen.
Die Asiendirektion des WFP verlangte in diesem Jahr für die Hilfe in Bangladesch 257 Millionen Dollar. Sie erhielt 76 Millionen.
Noch schlimmer war die Situation 2010: Die Asiendirektion erhielt für Bangladesch nur 60 Millionen Dollar. Für 2011 erwartet sie einen noch größeren Einbruch bei den Zahlungen der Geberländer – und damit eine noch größere Zahl der zum Hungertod verurteilten Menschen.
In anderen Weltregionen ist die Situation genauso tragisch.
Am 31. Juli 2011 gaben die Vereinten Nationen folgende Pressemeldung heraus: »12,4 Millionen Menschen sind am Horn von Afrika vom Hunger bedroht. Diese Region im Osten des Kontinents umfasst fünf Länder, unter denen Äthiopien und Somalia am stärksten von der Hungersnot betroffen sind … Besondere Gefahr besteht für 1,2 Millionen Kinder im Süden Somalias. In ihrem geschwächten Zustand sind sie vom Tode bedroht, weil ihnen die Kraft fehlt, gegen Krankheiten zu kämpfen.«
Das WFP verlangte 1,6 Milliarden Euro. Davon hat es weniger als ein Drittel erhalten.
Im Lager Dadaab auf kenianischem Gebiet drängen sich 450000 Menschen. Hunderttausende versuchen die Lager zu erreichen, die von den Vereinten Nationen in Ogaden errichtet
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