Wir lassen sie verhungern
Begründung? Die Beistifte enthalten Grafit, ein für das Militär potenziell verwendbares Material …
Die UN-Blockade führte zur weitgehenden Vernichtung der irakischen Wirtschaft.
Celso Amorim, brasilianischer Botschafter in New York, schrieb: »Auch wenn sich nicht alle gegenwärtigen Leiden des irakischen Volks auf externe Faktoren [die Blockade] zurückführen lassen, so würden die Iraker ohne die vom Sicherheitsrat verhängten Maßnahmen nicht in solchem Maße leiden.« 194
Hasmy Agam, Missionschef von Malaysia bei den Vereinten Nationen, drückt sich noch unverblümter aus: »Welche Ironie! Dieselbe Politik, die den Irak von Massenvernichtungswaffen befreien soll, erweist sich selbst als eine Massenvernichtungswaffe!« 195
Wie ist diese Kursänderung der Vereinten Nationen zu erklären?
Präsident Clinton, der 1992 gewählt wurde, wollte sich unter keinen Umständen auf einen zweiten Golfkrieg einlassen. Unter den herrschenden Bedingungen könne, wie er meinte, in der irakischen Bevölkerung ein solcher Leidensdruck erzeugt werden, dass sie sich selbst gegen den Tyrannen auflehne und ihn davonjage.
Sicherlich ist seine Außenministerin Madeleine Albright in erster Linie verantwortlich für diese klammheimliche Umwandlung des Programms Oil for Food in eine Waffe zur Kollektivbestrafung des irakischen Volks. Im Mai 1996 wurde sie in der NBC-Sendung »60 Minutes« interviewt. In der Presse begannen die ersten Artikel über die durch das Embargo ausgelöste humanitäre Katastrophe zu zirkulieren. Der NBC-Journalist bezog sich auf sie.
Frage: »Wenn der Tod von einer halben Million Kindern der Preis war, den wir bezahlen mussten …« Albright unterbrach ihn mitten in seiner Frage: »Wir denken, dass der Preis sich rentiert.«
Albright wusste natürlich genau über das Martyrium der Kinder Bescheid. UNICEF hatte folgende Zahlen veröffentlicht: Vor der von den Vereinten Nationen durchgeführten Kollektivbestrafung starben im Irak von 1000 Kindern 56. 1999 kamen auf 1000 Kinder 131, die durch Hunger oder Medikamentenmangel ihr Leben verloren.
In elf Jahren hat das Embargo mehrere Hunderttausende von Kindern umgebracht.
Es geht hier nicht darum, den tyrannischen und kriminellen Charakter des Regimes von Saddam Hussein in Frage zu stellen. Es besteht kein Zweifel daran, dass er eines der schlimmsten Regimes errichtet hat, die es in der arabischen Welt jemals gab. Außerdem steht fest, dass Saddam, seine Familie und ihre Komplizen in den elf Jahren des Embargos in Saus und Braus gelebt haben. Jahr für Jahr haben sie Erdöl in einem geschätzten Gesamtwert von zehn Milliarden Dollar am Programm Oil for Food vorbei in die Türkei und nach Jordanien geschmuggelt.
Trotzdem, die Hauptschuld daran, dass mehrere Hunderttausende Iraker durch Hunger vernichtet wurden, trägt der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.
Im Oktober 1998 wurde Hans-Christof Graf von Sponeck von Kofi Annan zum Beigeordneten Generalsekretär der Vereinten Nationen und zum Koordinator des Programms Oil for Food in Bagdad ernannt. Sein Vorgänger, der Ire Denis Halliday, war gerade spektakulär zurückgetreten.
Von Sponeck, ein Historiker, der unter anderem an der Universität Tübingen studiert hat, ist das absolute Gegenteil eines langweiligen Bürokraten. Er ist ein blitzgescheiter, total unabhängiger, mutiger Mensch. Während seiner 37 Jahre im Dienst der Vereinten Nationen hat er stets Auslandseinsätze erlebt. Zunächst als Vertreter des UNDP in Ghana und der Türkei, anschließend als ortsansässiger Koordinator der Vereinten Nationen in Botswana, Indien und Pakistan.
Der einzige Posten, den er fern der Entwicklungsfront versehen hat, ist der eines Regionaldirektors und Direktors für Europäische Angelegenheiten im Büro des Entwicklungsprogramms in Genf – wo er sich nach eigenem Bekunden zu Tode gelangweilt hat.
Niemand in der 38. Etage des UN-Wolkenkratzers am Ufer des East River – der Etage, in der der Generalsekretär und seine wichtigsten Mitarbeiter residieren – ahnte etwas von der Familiengeschichte von Sponecks. Sie sollte sich als explosiv erweisen.
In Bagdad entdeckte von Sponeck das ganze Ausmaß der Katastrophe. Wie praktisch alle Führungskräfte der Vereinten Nationen und die Weltöffentlichkeit hatte er bis dahin praktisch nichts von ihr gewusst. Sobald von Sponeck begriff, dass das Embargo zu einer Kollektivstrafe pervertiert worden war, und sobald er sah, wie sich die
Weitere Kostenlose Bücher