Wir lassen sie verhungern
Frage ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Die Lobbyisten der Agrarkonzerne versuchen die Kritiker zu entwaffnen. Sie leugnen nicht, dass es moralisch zweifelhaft sei, Nahrungssmittel ihrer eigentlichen Bestimmung zu entziehen, um sie als Energieträger zu verwenden. Aber wir könnten beruhigt sein, sagen sie. Bald werde eine »zweite Generation« von Agrotreibstoffen auf den Markt kommen, die aus Holzspänen oder Pflanzen wie der Jatropha produziert werden, die nur auf ausgetrocknetem Boden gedeiht (der für die Nahrungsmittelproduktion völlig ungeeignet ist). Ferner, so fügen diese Leute hinzu, sei die Technik inzwischen so fortgeschritten, dass man die Maisstängel verarbeiten könne, ohne die Kolben zu ruinieren … Aber um welchen Preis?
Das Wort »Generation« verweist auf die Biologie und lässt an eine logische und notwendige Folge denken. Doch im vorliegenden Fall täuscht die Terminologie. Denn wenn es die Agrotreibstoffe dieser sogenannten »zweiten Generation« tatsächlich geben sollte, werden sie durch die erforderlichen Sortierungen und Zwischenstufen noch teurer. Daher werden sie auf einem Markt, der vom Prinzip der Gewinnmaximierung beherrscht wird, nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Der Tank eines mit Bioethanol betriebenen Mittelklassewagens fasst 50 Liter. Zur Herstellung von 50 Litern Bioethanol müssen 358 Kilogramm Mais vernichtet werden.
In Mexiko und in Sambia ist Mais das Grundnahrungsmittel. Von 358 Kilogramm Mais kann ein sambisches oder mexikanisches Kind ein Jahr lang leben.
Amnesty International sieht es genauso: »Agrotreibstoffe – volle Tanks und leere Bäuche.« 209
207 2012 kündigte Obama eine Revision des Programms an.
208 Produktion 2007: 18 Milliarden Liter. Präsident Obama hat die Ziele von George W. Bush herabgesetzt und das Programm in bestimmten Punkten modifiziert.
209 Zeitschrift Amnesty International , Schweizer Sektion, Bern, September 2008.
SECHSTER TEIL
Die Spekulanten
3
Raub des Bodens, Widerstand der Verdammten
Gleich nach der Lebensmittelkrise des Jahres 2008 begannen Konzernmogule und Finanzoligarchen in großem Maßstab in den Ländern der Dritten Welt Ackerboden zu kaufen, zu pachten oder sonstwie anzueignen, um sich Nahrung (Getreide, Fleisch, Reis usw.) für den Weltmarkt zu sichern. Damit wollten sie auf die wachsende Binnennachfrage in den Industrieländern reagieren.
Als sich 2011 eine neue Lebensmittelkrise ankündigte, häuften sich die Anzeigen der Landkäufe für den Anbau von Nahrungsmitteln. Dieses Phänomen, in Verbindung mit dem Bodenerwerb zu rein spekulativen Zwecken, lässt keinen Zweifel daran: Das Land ist ein sicherer Wert geworden, ein Fluchtwert, profitabler oft als Gold.
Sein Preis ist nämlich in den Entwicklungsländern durchschnittlich dreißigmal so günstig wie in den Ländern des Nordens. Es handelt sich also um eine Investition, die sich auszahlt. Da die internationale Gemeinschaft nicht so bald vorhat, die Rechte der einheimischen Bevölkerungen zu schützen, sieht das Land Grabbing goldenen Zeiten entgegen.
2010 wurden in Afrika von amerikanischen Hedgefonds, europäischen Banken, saudischen, südkoreanischen, singapurischen, chinesischen etc. Staatsfonds 41 Millionen Hektar Ackerboden gekauft, gepachtet oder ohne Gegenleistung übernommen.
Besonders aufschlussreich ist das Beispiel des Südsudans.
Nach 26 Jahren Befreiungskrieg und mehr als einer Million Toten und Versehrten wurde die neue Republik Südsudan am 9. Juli 2011 gegründet. Doch noch vor ihrer Entstehung hat die provisorische Verwaltung in Juba 600000 Hektar Ackerboden, 1 Prozent des Staatsgebiets, an den texanischen Nahrungsmitteltrust Nile Trading and Development Inc. zu einem konkurrenzlosen Schleuderpreis verkauft: Die Texaner haben 25000 Dollar bezahlt – 3 Cent pro Hektar. Außerdem hat Nile Trading and Development Inc. eine Option auf weitere 400000 Hektar. 275
Die Spekulation funktioniert auch »intern«.
In Nigeria haben sich reiche Kaufleute aus Sokoto oder Kano durch unterschiedliche Mittel – meist durch Bestechung staatlicher Organe – viele Tausend Hektar Ackerland angeeignet, um es später an ausländische Konzerne zu verkaufen.Noch häufiger finden solche zweifelhaften Geschäfte in Mali statt. Reiche Geschäftsleute aus Bamako – oder noch häufiger aus der malischen Diaspora in Europa, Nordamerika oder den Golfstaaten – erwerben Land.
Sie nutzen es nicht, sondern warten, bis der Preis steigt, um es dann an
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