Wir lassen sie verhungern
der Hungernden gehört, leidet oder stirbt, ohne eine Spur auf einer FAO-Grafik zu hinterlassen.
Die erklärten Feinde der FAO kritisieren auch das Monitoring. Statt penible Grafiken der Hungernden aufzustellen, so wird vorgebracht, statt mathematische Modelle des Leidens zu entwickeln und bunte Diagramme der Toten zu zeichnen, täte die FAO besser daran, ihr Geld, ihr Know-how und ihre Energie zu nutzen, um die Opferzahlen zu reduzieren …
Auch dieser Vorwurf erscheint mir ungerecht. Das Monitoring unterrichtet das antizipierende Bewusstsein. Es bereitet die Empörung des Bewusstseins von morgen vor. Im Übrigen hätte dieses Buch nicht geschrieben werden können ohne die Statistiken, Listen, Grafiken und Tabellen der FAO.
Vor allem einem Mann verdankt die FAO ihr System des Monitorings – Jacques Diouf, dem Generaldirektor der Organisation von 2000 bis 2011. 188 Diouf ist ein senegalesischer Sozialist und gelernter Ernährungswissenschaftler.
Bevor er Minister in verschiedenen Regierungen von Léopold Sédar Senghor wurde, war er ein kompetenter Direktor des senegalesischen Reisinstituts.
Fröhlich, feinsinnig, intelligent und ungeheuer vital, hat Diouf die Bürokraten der Caracalla-Thermen aufgeschreckt und durcheinander gewirbelt.
Der aggressive, manchmal rücksichtslose Ton, den er gegenüber Staatschefs anschlug, seine Aussagen in Presse, Rundfunk und Fernsehen, mit denen er die öffentliche Meinung in den weltbeherrschenden westlichen Ländern zu mobilisieren trachtete, haben etliche einflussreiche Politiker des Westens tief verärgert. Vielen von ihnen war jeder Vorwand recht, ihn in Misskredit zu bringen.
Nehmen wir als Beispiel die Zweite Welternährungskonferenz, die 2002 in Rom stattfand.
Im obersten Stockwerk des FAO-Gebäudes verfügt der Generaldirektor über ein privates Esszimmer, in dem er – wie alle Leiter von UN-Sonderorganisationen – durchreisende Staats- und Regierungschefs empfängt.
Am dritten Tag der Konferenz, nachdem Diouf am Tag zuvor in einer Rede besonders harsche Kritik an den transkontinentalen Agrar- und Lebensmittelkonzernen geübt hatte, veröffentlichte die englische Boulevardpresse die detaillierte Speisenfolge, mit denen der Direktor am Vortag die Staatschefs bewirtet hatte.
Natürlich war es ein opulentes Mahl gewesen.
Der Chef der britischen Delegation – selbst Teilnehmer des erwähnten Festbanketts – nahm diese »Enthüllungen« zum Vorwand, um vor den versammelten Konferenzteilnehmern eine bösartige Hetzrede gegen den Direktor zu halten, der »öffentlich vom Hunger spricht und sich privat auf Kosten der Steuerzahler in den Geberländern der FAO den Bauch vollschlägt«.
Ich empfinde Bewunderung für Jacques Diouf. Denn ich habe ihn des Öfteren bei der Arbeit gesehen.
Beispielsweise im Jahr 2008. Im Juli dieses Jahres brachen, wie berichtet, infolge eines jähen Preisanstiegs auf dem Weltmarkt für Grundnahrungsmittel in 37 Ländern Hungeraufstände aus.
Die UN-Generalversammlung sollte im September zusammentreten. Diouf war davon überzeugt, dass man diese Gelegenheit benutzen müsse, um eine massive internationale Kampagne gegen das Spekulantenunwesen in die Wege zu leiten.
Daher mobilisierte er seine Freunde von der Sozialistischen Internationalen. Die spanische Regierung unter José Luiz Zapatero erklärte sich bereit, als Speerspitze dieser Kampagne aufzutreten: Am ersten Tag der UNO-Vollversammlung sollte eine spanische Resolution eingebracht werden.
In Erwartung des bevorstehenden Kampfes rief Diouf alle jene Mitglieder der SI zusammen, die im UN-System eine mehr oder weniger bedeutende Rolle spielen.
Die Zusammenkunft fand im Juli 2008 am Sitz der spanischen Regierung, im Palacio de la Moncada in Madrid, statt.
In dem großen weißen, vom Licht Kastiliens durchfluteten Saal saßen an einem schwarzen Tisch Antonio Gutierrez, ehemaliger Präsident der Sozialistischen Internationalen, ehemaliger portugiesischer Ministerpräsident und gegenwärtig Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge; der französische Sozialist Pascal Lamy, Generaldirektor der WTO; Führer der Arbeiterpartei Brasiliens, ein Minister der britischen Labourregierung und natürlich José Luiz Zapatero selbst, sein Außenminister Miguel Ángel Moratinos, Bernardino León, sein fähiger Kabinettschef, und schließlich ich selbst in meiner Eigenschaft als Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Menschenrechtsrats.
Diouf kam über uns wie ein Orkan.
Sein
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