Wir lassen sie verhungern
Programms verantwortlich war.
Auf dem Papier orientierte sich das Programm Oil for Food an den üblichen Grundsätzen für Embargos, wie sie von den Vereinten Nationen verhängt werden. Tatsächlich aber wurde es seinem Zweck absichtlich entfremdet, sodass es sich für die Zivilbevölkerung als mörderisch erwies. 189 Denn sehr rasch schon begann der Sanktionsausschuss immer häufiger die Einfuhr von Nahrungsmitteln, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern unter dem Vorwand zu verweigern, die Lebensmittel könnten Saddams Armee zugute kommen, die Medikamente würden chemische Substanzen enthalten, die für militärische Zwecke nutzbar seien, und bestimmte Bauteile medizinischer Geräte könnten auch zur Herstellung von Waffen dienen.
In den irakischen Krankenhäusern begannen die Menschen zu sterben, weil es an Medikamenten, chirurgischen Instrumenten und Sterilisationsmaterial fehlte. Zwischen 1996 und 2000 starben nach sehr zurückhaltender Schätzung 550000 irakische Kleinkinder an Unterernährung.
So wurde ab 1996 das Programm Oil for Food allmählich missbräuchlich verwendet, das heißt, es bewirkte durch Nahrungs- und Medikamentenentzug eine Kollektivbestrafung der Bevölkerung. 190
Professor Marc Bossuyt, einer der namhaftesten Völkerrechtler, der Präsident der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen 191 war, bezeichnet die Strategie des Sanktionsausschusses als »Völkermord«.
Es folgen einige Zahlenbeispiele für die Folgen dieser mörderischen Strategie, der dieses große Land mit seinen 26 Millionen Einwohnern ausgesetzt wurde.
Weniger als 60 Prozent der für die Krebstherapie unentbehrlichen Medikamente wurden zugelassen. 192
Die Einfuhr von Dialysegeräten für die Behandlung von Nierenpatienten wurde kategorisch verboten. Ghulam Rabani Popal, Vertreter der WHO in Bagdad, beantragte im Jahr 2000 die Genehmigung für die Einfuhr von 31 Geräten, die die irakischen Krankenhäuser dringend brauchten. Die 11 Geräte, die New York schließlich genehmigte, wurden an der jordanischen Grenze zwei Jahre lang festgehalten.
1999 wandte sich die amerikanische Direktorin des WFP, Carol Bellamy, persönlich an den Sicherheitsrat. Der Sanktionsausschuss hatte sich geweigert, die Einfuhr von Infusionsbeuteln mit Nährlösungen für schwer unterernährte Säuglinge und Kleinkinder zu genehmigen. Carol Bellamy protestierte mit aller Schärfe. Der Sanktionsausschuss hielt sein Verbot aufrecht.
Im Krieg waren die riesigen Trinkwasseraufbereitungsanlagen an Tigris, Euphrat und Schatt-al-Arab zerstört worden. Der Sanktionsausschuss untersagte die Lieferung von Baumaterialien und Ersatzteilen, die zur Instandsetzung erforderlich gewesen wären. Daraufhin explodierte die Zahl der Infektionskrankheiten durch verschmutztes Wasser.
Im Irak können die Sommertemperaturen über 45 Grad erreichen. Die Blockade verhinderte die Einfuhr von Ersatzteilen zur Reparatur von Kühlschränken und Klimaanlagen. In den Schlachtereien begann das Fleisch zu verfaulen. Die Lebensmittelhändler mussten mitansehen, wie Milch, Obst und Gemüse in der Gluthitze verdarben. In den Krankenhäusern gab es keine Möglichkeit, die wenigen verfügbaren Medikamente frisch zu halten.
Sogar die Einfuhr von Ambulanzen wurde vom Sanktionsausschuss verhindert. Begründung: » … sie enthalten Kommunikationssysteme, die von Saddams Truppen verwendet werden könnten.« Als der französische und dann der deutsche Botschafter darauf hinwiesen, dass ein Kommunikationssystem – etwa ein Telefon – unentbehrlicher Bestandteil aller Ambulanzen der Welt ist, konnte das den amerikanischen Botschafter nicht beeindrucken: keine Ambulanzen für den Irak. 193
Zwischen Euphrat und Tigris arbeiten mehrere Zehntausend ägyptische Fellachen, Bewässerungsspezialisten, die ihre bewundernswerte, uralte Erfahrung im Nildelta und -tal erworben haben. Trotzdem importierte der Irak fast 80 Prozent seiner Lebensmittel. Doch seit dem Embargo wurden die Lebensmitteleinfuhren vom Sanktionsausschuss meistens absichtlich zurückgehalten.
Die Dokumente belegen, dass Tausende von Tonnen Reis, Obst und Gemüse in Lastwagen verloren gingen, die an der Grenze aufgehalten wurden, weil sie aus New York kein grünes Licht erhielten oder es mit monatelanger Verspätung bekamen.
Die Diktatur des Sanktionsausschusses war unerbittlich. Sie machte auch vor den Schulen nicht halt.
Beispielsweise verbot der Sicherheitsrat die Lieferung von Bleistiften. Mit welcher
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