Wir müssen leider draußen bleiben
ermöglichen, sich selbst zu versorgen, ein bedingungsloses Grundeinkommen, Regionalwährungen, die Bereitstellung von Boden, Wasser, Energie, Nahrung und Ressourcen als Gemeingüter, Genossenschaften statt Privatkonzerne – es gibt eine Menge von Alternativen. Sie haben alle nichts zu tun mit der gängigen Idee des Wirtschaftswachstums, das auf Ausbeutung von Menschen und Ressourcen gründet. Sondern mit Ideen von Gemeinschaft und Souveränität. Damit sie überhaupt in die Nähe einer Lösung kommen, müssen sie diskutiert werden. Wir dürfen es uns nicht nur wünschen, wir müssen fest daran glauben, dass, getreu dem Attac-Motto, eine andere Welt möglich ist. Die Wirtschaftseliten haben nur ein einziges Glaubensbekenntnis: Privatisierung, Deregulierung und Einschnitte bei den Sozialausgaben – »die Dreifaltigkeit des freien Marktes« (Naomi Klein). 526
Verzweifelte Wut
Angst macht stumm, Demütigung aggressiv. Im Sommer 2011 entlud sich in Großbritannien der zu lange angestaute Hass der ausgegrenzten Jugendlichen in blinder Zerstörung. Die »London Riots« haben für Empörung gesorgt, schließlich war in ihnen unmöglich ein ehrenwerter Aufstand der Unterdrückten gegen das Establishment zu erkennen. Die Randalierer zerstörten ihre eigenen Viertel, sie fügten anderen Armen Gewalt und Leid zu, steckten Wohnhäuser in Brand, ruinierten die Existenzen kleiner Leute. Sie reagierten mit Gewalttätigkeit auf die strukturelle Gewalt, die ihnen und ihren Familien seit Jahrzehnten angetan worden ist. Mit der gleichen Härte schlug, von einer breiten Mehrheit etragen, das System abermals zurück: in Form von drakonischen Strafen – ein halbes Jahr Knast für drei geklaute Flaschen Mineralwasser – weil die Richter ein Exempel an der verkommenen Jugend statuieren wollten. 527 Und auch mit der Drohung des konservativen Premiers David Cameron, die letzten Reste des lästigen Wohlfahrtsstaats abzubauen, der ja nur das Nichtstun belohne. Cameron, Nachfahre von König Wilhelm IV, Sohn eines Börsenmaklers, verheiratet mit einer Frau mit ebenfalls aristokratischen Wurzeln, ist nicht nur denkbar weit entfernt vom Lebensalltag dieser Jugendlichen. Seine Verachtung für sie ist sprichwörtlich – und wie alle, die sich weigern, Strukturen infrage zu stellen, welche zu Armut, Ausschluss und schließlich seelischer Zerstörung führen, sieht er die Schuld allein in der schlechten Moral am Rande der Gesellschaft. 528
Von den 18- bis 24-jährigen Briten ist gut jeder Fünfte arbeitslos. Eine Studie des Prince’s Trust von 2009 ergab, dass Arbeitslosigkeit in so jungen Jahren erhebliche emotionale Auswirkungen hat – Depression, Minderwertigkeitsgefühle, Verunsicherung bis hin zu Selbstmordgedanken. 529
Es muss viel zusammenkommen, bevor derartige Ausschrei tungen passieren. In Großbritannien bestand der Auslöser darin, dass die Polizei den 29-jährigen schwarzen Familienvater Mark Duggan erschoss. Schwarze werden in Großbritannien diskriminiert, besonders Jugendliche werden von der Polizei besonders gegängelt. In Deutschland ist Ähnliches nicht zu erwarten. Doch Demütigung und Ausgrenzung sind Formen von Gewalt und haben auf die Entstehung von Gewalttätigkeiten immensen Einfluss. Die Unterscheidung zwischen höher- und minderwertigen Menschen, führt zu nichts anderem als Frustration und schließlich Aggression. Sie berührt, wie der Neurobiologe Joachim Bauer in seinem gleichnamigen Buch darlegt, die Schmerzgrenze . 530 Jenseits dieser Grenze gibt es keine Empathie. Ausgrenzung zerstört nicht nur das Individuum, sondern die ganze Gesellschaft.
»Wer sich aus der Zwangsjacke befreien will, in die uns Angst und Gier nach Teilhabe an den verrückten Ansprüchen der Konsumgesellschaft fesseln, muss nichts aufregend Neues erwerben. (…) Es geht eher darum, sich unerschrocken der Banalität zu stellen, dass wir alle Menschenkinder sind, angewiesen auf einen einzigen geschundenen Planeten. Und herauszufinden, welchen Reichtum an Mitgefühl, Phantasie, Intuition und Sinnlichkeit jeder von uns in sich trägt, sofern er lernt, jene leise innere Stimme wieder zu hören, die Angst und Gier widersteht«, schreibt der Psychologe Wolfgang Schmidbauer. 531 Wir sind vie le. Wir haben nur uns. Es ist genug für alle da. Lassen wir uns also nicht zu Söldnern im Krieg der Reichen gegen die Armen machen – sondern leisten wir gemeinsam Widerstand.
Danksagung
Meinem Mann Oliver und meinen Eltern – für alle Unterstützung,
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