Wir müssen leider draußen bleiben
hier, »die kennt man, sie fallen ja auch auf«, sagt Hering. Dafür sehe man zunehmend »neue Alte« in den Cafés herumsitzen, solche mit gepflegten Frisuren und modisch teuerer Kleidung. Die 47-jährige alleinerziehende Mutter sagt, sie müsse immer weitere Wege auf sich nehmen, um sich mit günstigen Produkten versorgen zu können. Bis vor Kurzem war die Kunsthistorikerin noch Hartz-IV-Empfängerin, jetzt hat sie einen nicht eben üppig bezahlten Job bei einer politischen Stiftung. Es waren einmal Menschen wie sie, die für das linksalternative Flair des Viertels sorgten, für eine improvisierte Struktur, die nach und nach immer mehr Besserverdienende lockte. Denn mit dem subkulturellen Bohème-Charme lässt sich viel Geld verdienen.
Im Erdgeschoss der Oderberger Straße 44 befindet sich der Laden »Kauf dich glücklich«. Der Schriftzug im Schaufenster besteht aus ausgeschnittenen, bunt zusammengewürfelten Buchstaben, Möbel der 50er- und 60er Jahre, wie zufällig hingestellt, ergänzen die rumpelige Szenerie vor und innerhalb der kombinierten Eisdiele und Kleiderboutique. Dank der Touristen, die sich zunehmend im Viertel tummeln, und der Wohlhabenden, die dort skandinavische Designerklamotten kaufen, eine Goldgrube: die Betreiber haben ihr Ladenkon zept, das »Kauf-dich-glücklich-Lebensgefühl« 164 (darunter geht es ja nicht mehr) bereits in acht deutschen Städten verwirk licht. Das Lebensgefühl, im selben Haus eine Wohnung zu mie ten, sagt Claudia Hering, kostet mittlerweile bis zu 18 Euro pro Quadratmeter. Kalt. Der Bio-Markt in der Oderberger Straße, der eine ähnliche Klientel bediente und dem Marthashof-Investoren als eines der vielen Verkaufsargumente diente, habe hingegen schließen müssen. Er konnte die Mieterhöhung um 100 Prozent nicht mehr bezahlen.
Es ist die letzte Stufe der ökonomischen Vertreibung, wenn selbst die Profiteure der Gentrifizierung aus dem Viertel weichen müssen. Aufwertungsprozesse, die in bereits aufgewerteten Quartieren stattfinden, nennt man Supergentrifizierung. Das bedeutet, dass selbst die gut verdienende Mittelschicht verdrängt wird – durch wirklich Reiche. Es folgt über kurz oder lang ein vollständiger Austausch Statusniederer durch eine ranghöhere Bevölkerung. Es ist das Gegenteil einer sozialverträglichen Mischung, wie sie die Stadtpolitik eigentlich garantieren müsste.
Lange hatte Claudia Hering Glück: Weil das Haus in der Oderberger Straße mit öffentlichem Geld saniert wurde und der Vermieter im Rahmen dieses städtischen Sanierungsprogramms 15 Jahre lang die Miete nicht erhöhen durfte, konnte sie sich die Altbauwohnung leisten. Doch auch der Vermieter möchte sein Stück vom Kuchen abhaben. Immer wieder, so Hering, mache er den Mietern das Leben schwer. Sie zahlt jetzt 20 Prozent mehr Miete, um so viel kann der Vermieter jedes Jahr erhöhen, seit in Berlin die Mietbindung gefallen ist. Wie lange sie sich das noch leisten kann, weiß sie nicht. Sie kenne einige, die bereits weggezogen seien.
Ein Großteil der Modernisierung wurde bis Mitte der neunziger Jahre aus öffentlicher Hand bezahlt. Eine festgelegte Mietpreisentwicklung sowie Sozialpläne sollten eine sozialverträgliche Erneuerung nach der Wende sicherstellen. Ein Drittel aller Hauseigentümer in den Sanierungsgebieten des Prenzlauer Bergs begannen, ihre Häuser mit Hilfe staatlicher Zuschüsse und vergünstigter Kredite zu sanieren. Dafür verpflichteten sie sich, die Mieten über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren nicht über eine bestimmte Grenze zu erhöhen. So fanden 60 Prozent der Bewohner auch nach der Sanierung eine bezahlbare Wohnung. Selbst als die Grundstücke und Gebäude nach und nach an private Investoren verkauft wurden, ermöglichten Mietobergrenzen und Steuerbegünstigungen (für die Investoren), dass zumindest 40 Prozent der Bewohner nach der Modernisierung in ihre Wohnung zurückkehren oder im Kiez eine vergleichbare Wohnung finden konnten. 2008 wurden die Mietobergrenzen gerichtlich aufgehoben, auch die Steuerbegünstigungen für die Sanierer liefen aus. Seither konzentrieren sich die Investoren darauf, Geld mit luxuriösem Eigentum zu machen. Der Erhalt günstiger Mietwohnungen dagegen liegt nicht im Interesse von Immobilienkonzernen, er ist nicht profitabel. Bereits 30 Prozent des Wohnraums im Prenzlauer Berg sind Eigentumswohnungen, die für die allermeisten ehemaligen Bewohner unerschwinglich sind.
Von solchen Problemen spürt man nichts, wenn man den Showroom
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