Wir müssen leider draußen bleiben
setzt sich an den großen Küchentisch in seiner Wohnung im Prenzlauer Berg. Kollwitzstraße, das Zentrum der Gentrifizierung. Als Student zog er damals in das fast leer stehende Haus; mit einer Gruppe von Leuten, die noch heute größtenteils dort wohnt, hat er das Haus renoviert. Er habe niemanden verdrängt, sagt er und lacht, »ich bin sicher kein Gentrifizierer«. Er sagt das mit einem leicht ironischen Unterton, den Begriff der Gentrifizierung benutzt er nicht gern. Wie Andrej Holm, dessen Doktorvater er war, fürchtet er, dass man das Problem der Ausgrenzung mit diesem Begriff verharmlost.
»Es gab immer schon Segregation zwischen Arm und Reich, ganz gemischtes Wohnen, das gab es nie.« Wer sozial aufsteigt, der zieht um, das war schon immer so. »Bislang zogen die Reichen aus der Stadt raus an den Stadtrand und ließen sich dort in sozial extrem homogenen Vierteln nieder. Jetzt haben wir eine umgekehrte Entwicklung: heute gehört es zum Prestige, in der Stadtmitte zu wohnen.«
Lange galt die Stadt – im Gegensatz zum Land – als Ort der politischen und sozialen Emanzipation, und damit auch als ein Ort der Integration von Fremden. Der Aufbau der städtischen Infrastruktur zur Jahrhundertwende fand gegen Partikularinteressen der Grundbesitzer statt. Standesunterschiede waren in der offenen Gesellschaft der Stadt weniger auffällig als auf dem damals noch traditionell feudal strukturierten Land, Teilhabe an Privilegien, soziale Bindungen jenseits der Standeszugehörigkeit waren für alle möglich: Die Stadt stand für Heterogenität und Toleranz, das Land für Homogenität und Intoleranz. 167 Schließlich muss man in der Stadt mit Fremden auf engem Raum zusammenleben. »Diese Kultur der Differenz, die keine verbindlichen Normen für alle setzt, sorgt für Integrationseffekte.« Die Anonymität der Großstadt schafft einen Schutzraum für Exzentrik und ist Quell der kulturellen Produktivkraft: »Die urbane Qualität liegt in der Vielfalt«, sagt Häußermann. Die soziale Mischung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür.
Seit dem Ende der Ständegesellschaft fand soziale Entmischung vor allem deshalb statt, weil die Wohlhabenderen aus den Stadtzentren an den Stadtrand zogen und die Konzentration von Armen in den Innenstädten wuchs. Man nennt diese Stadtflucht Suburbanisierung, sie führte zur Entstehung der »Speckgürtel« und sorgte dafür, dass »Problemviertel« vor allem nahe des Stadtzentrums zu finden waren. Heute hat sich die Entwicklung fast umgekehrt: die Wohlhabenden ziehen in die Städte und schotten sich in Projekten wie dem Marthashof von ihren direkten Nachbarn ab. Sie suchen die Stadt – aber auch die Distanz zu ihren Nachbarn.Andrej Holm beschreibt diese Suburbanisierung in urbanen Zentren, als »Simulation von Stadtrand« in der Innenstadt.
Zwanzig Fußminuten von Häußermanns schöner Altbauwohnung befindet sich eines der ersten Projekte für geschlossenes gehobenes Wohnen in der Stadt: die Prenzlauer Gärten am Volkspark Friedrichshain, eine Townhouse-Siedlung nach englischem Vorbild. Ein Reihenhausidyll inmitten der Großstadt: 60 weiße Häuser flankieren die Privatstraße, Treppen führen zur Haustür, zu jedem Haus gehört eine Terrasse mit Tropenholzmöbeln, ein Parkplatz und ein Baum, nach hinten raus liegen handtuchgroße Gärtchen. Alles ist einheitlich hier. In der Mitte gibt es einen Spielplatz und einen Garten mit Wasserspielen, er ist gewissermaßen der Dorfbrunnen in diesem Dorf mitten in der Stadt, das umschlossen ist von einem anthrazitfarbenen Eisenzaun. Das Rolltor neben dem leeren Pförtnerhäuschen steht offen. Hier finden sich fast alle Merkmale einer Gated Community, jener abgeschlossenen und bewachten Wohnviertel für Reiche, wie man sie vor allem in den USA und zunehmend in armen Ländern Asiens und Afrikas oder in Indien, China und Russland findet. Solche Anlagen entstehen immer da, wo die sozialen Unterschiede besonders groß sind. Weil auch in den wohlhabenden Ländern Europas die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, kann man auch in Frankreich, England und Spanien Gated Communities finden. Zwar wacht in den Prenzlauer Gärten kein Doorman, auch das Rolltor steht immer offen, die Privatstraße ist öffentlich. Noch. Doch man fühlt sich schon jetzt wie ein Eindringling, wenn man die Anlage betritt. Die strenge Gleichförmigkeit der Häuser, die Enge, die Sauberkeit, die künstliche Idylle, die Totenstille wirken beklemmend. Ständig hat man das Gefühl,
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