Wir müssen leider draußen bleiben
Spielplätzen oder die Verkehrsberuhigung ihrer Straße wie die BIOS . In Kreuzberg hat sich nach dem NIMBY -Prinzip eine Bürgerinitiative gebildet, deren wohlhabende Angehörige eine Einrichtung für Drogenabhängige verhindern möchten.
Andrej Holm bestellt im Café keinen Latte macchiato, son dern altmodischen Milchkaffee. Er sagt, dass die neuen, oft hochgebildeten Bewohner ein sehr viel stärkeres Mobilisierungspotenzial hätten. »Sie sind besser vernetzt und viel argumentationsstärker als Arme.« Besserverdienende schlagen Krach, Arme verschwinden lautlos. Und sind sie erst aus der Innenstadt verschwunden, nimmt sie keiner mehr wahr. Sie tauchen dann allenfalls noch in Statistiken auf. Der Spandauer Sozialstadtrat Martin Matz ( SPD ) hat die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet und festgestellt: Innerhalb eines Jahres sind rund 2000 Hartz-IV-Empfänger mehr in günstige Großsiedlungen in Spandau, Marzahn-Hellersdorf und Reinickendorf gezogen, als von dort in die Jobcenter anderer Bezirke gewechselt sind. Die Jobcenter in begehrten Innenstadtlagen wie Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Pankow, wozu auch Prenzlauer Berg gehört, haben in einem vergleichbaren Umfang Arbeitslose an Jobcenter in innenstadtferne Viertel abgegeben. Das zeigt nicht nur, dass Arme gezwungen sind, die Innenstadt zu verlassen – sondern dass von dort kein Weg mehr zurückführt. Matz sagt »Es gibt einen Treck von Leuten in die Großsiedlungen, die nicht anders können.« 156 Denn selbst in innerstädtischen Sozialwohnungen steigen die Mieten: Ein Zehntel des Berliner Wohnungsbestands, rund 190 000 Wohnungen sind offentlich geförderter sozialer Wohnungsbau. Die 28 000 Sozialwohnungen, die nach 1987 erbaut wurden, förderte die Stadt mit 3,9 Milliarden Euro. Doch weil der Schuldenberg nach dem Berliner Bankenskandal riesig war, stellte ausgerechnet der damalige Finanzminister Thilo Sarrazin die Anschlussförderung ein, die den Mietern zugesagt worden war. Seither dürfen Vermieter die volle Kostenmiete verlangen. Die liegt zwischen zwölf und 20 Euro pro Quadratmeter. Das kann – vor allem in begehrten Innenstadtlagen wie etwa im Fanny-Hensel-Kiez hinter dem Potsdamer Platz – sogar eine vollkommen legale Mieterhöhung von 90 Prozent bedeuten. Vermieter dürfen diese Summen sogar rückwirkend bis zu dreiundzwanzig Monaten einfordern. 157 Eine Stadtpolitik der Vertreibung: Den Mietern bleibt nichts anderes übrig, als rasch auszuziehen. Margit Bayer ****** ehrenamtliche Mitarbeiterin eines Notruftelefons für Menschen, die von solchen Zwangsauszügen betroffen sind, erzählt: »Die Menschen versuchen alles, damit sie in ihrem Viertel bleiben können. Wenn man die Arbeit verloren hat und die finanzielle Sicherheit, ist es ein untragbarer Verlust, auch noch das Letzte, was geblieben ist, die eigene Wohnung und das soziale Umfeld im Kiez, zu verlieren.« Die Ehrenamtlichen hätten eine interne Erhebung gemacht, nach der 20 Prozent der Anrufer am Monatsende hungerten, um die Mite bezahlen zu können. In Extremfällen hatten sich andere sogar den Strom abstellen lassen.
Wohlhabende hingegen können anders: sich einen Anwalt leisten zum Beispiel. Oft protestieren sie erst gar nicht mehr – sie prozessieren. Im Jahr 2009 lagen Jens-Holger Kirchner (Grüne), Stadtrat für öffentliche Ordnung im Bezirk Pankow, 933 Beschwerden wegen Lärmbelästigung vor, Tendenz steigend. Manche Anwohner, die sich von Hundegebell, Spielplatzgeschrei, Clublärm oder Baustellen gestört fühlten, zögen sofort vor Gericht, ohne vorher den Umweg über ein Gespräch zu wählen. Eine Lösung für das Allgemeinwohl haben sie dabei nicht im Sinn. Als die U-Bahnlinie 2 entlang der Schönhauser Allee zwischen Senefelder Platz und Pankow saniert wurde, wehrten sich prompt Anwohner gegen den unvermeidlichen Baulärm. Es waren ganze drei Kläger, die vor Gericht durchsetzten, dass wegen des Lärms nur bis zehn Uhr abends gebaut werden. Das verzögerte die Bauarbeiten um mehrere Wochen. Der ruhige Schlaf der »Ego-Terroristen« ( Stern ) 158 hatte für viele tausend andere Berliner zur Folge, dass sie noch länger das Gedränge in den Bussen des Schienenersatzverkehrs aushalten und zudem nicht selten lange Wartezeiten hinnehmen mussten. » Contra Ruhestörungen durch die Open-Air-Spielstätte der Volksbühne« hieß eine weitere Initiative, die sich gegen Kulturlärm der Freiluftbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin – Mitte zur Wehr setzte.
Weitere Kostenlose Bücher