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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Seitdem müssen die Zuschauer nach zehn Uhr abends Kopfhörer benutzen. In Friedenau, einem Viertel, das an den gepflegten Stadtteil Schöneberg grenzt, klagte ein Anwohner gegen eine Kita und erreichte, dass diese umziehen musste. Am Falkplatz am Rande des Mauerplatzes gibt es ein Grillverbot, weil sich die Nachbarn an den Rauchschwaden störten. In Spandau setzte sich ein Ehepaar vor Gericht erfolgreich gegen das Klavierspiel der Nachbarstochter durch. Die Gewinnerin des Wettbewerbs »Jugend musiziert« darf nun nicht mehr am Wochenende Klavier spielen. Und so weiter und so weiter.
    Gartenzaunkriege wie diese kennt man eigentlich aus der Provinz. Mit der Individualisierung und der Kampfbereitschaft für ihre Privatinteressen hält jedoch das Dorf Einzug in die Stadt. Dort geraten solche Auseinandersetzungen zu regelrechten langen Fehden. Die Beschwerden neu zugezogener und Ruhe liebender Prenzlauer-Berg-Bewohner etwa sorgten dafür, dass der legendäre Punk-Club Knaack in ihrer Nachbarschaft nach 58 Jahren schließen musste. So klagen Spießerpunks die letzten Reste alternativer Lebensstile weg, die sie einst ins Viertel lockten. Wer zahlt, schafft an – so einfach funktioniert das auch dort. Besonders befremdlich ist die Initiative »Besser leben im Kiez«, die gegen den samstäglichen Wochenmarkt am Kollwitzplatz kämpft, der 5000 Besucher ins Viertel zieht, eben weil er ihnen als Symbol des besseren Lebens dient. Trotz Runder Tische und Gesprächen mit den Betreibern wollten die Bewohner nur eins: Der Markt soll weg. Samstag für Samstag bestellten die Initiative das Ordnungsamt. »Man hat uns missbraucht wie eine Privatarmee«, ärgert sich Stadtrat Kirchner. Es hagelte Anzeigen gegen den Markt (Lärm) und auch gegen Kirchner selbst – wegen Körperverletzung (Lärm). Selbst Wolfgang Thierse ( SPD ), der am Kollwitzplatz wohnt, scheute sich nicht, einen Beschwerdebrief an das Pankower Ordnungsamt zu schreiben – auf Briefpapier des Bundestags. Ein Vertreter des Volkes, der versucht, sich in dessen Namen private Vorteile zu verschaffen: Das nennt man Amtsmissbrauch. Die Vorkämpferin der Initiative gehörte allerdings nicht zu den verhassten »Schwaben«, sie wohnte bereits vor der Wende dort. Und hatte selbst einmal mit Lärmbeschwerden zu kämpfen, als sie ein Café in der Straße betrieb. Man verliert allmählich den Überblick, wer eigentlich warum gegen wen kämpft.
    Krieg der Lebensstile
    Berlin scheint die Hauptstadt der »Dagegen-Politik« zu sein. So nannte der Spiegel im August 2010 Bürgerprostete, die eher Privatinteressen in den Blick nehmen als das Allgemeinwohl. 159 »Wutbürger«, nannte Dirk Kurbjuweit solche Leute. Man kann dies kaum als einen Erfolg für die Demokratie feiern. Im Gegenteil: Das Politische ist privat geworden in der neoliberalen Konsumgesellschaft, deren Mitglieder selbst für die Ausgestaltung ihres Lebens zuständig sind. Menschen finden sich nur dann zu losen, flexiblen Gemeinschaften, zu Zielgruppen zusammen, wenn sie zufällig dasselbe Lifestylekonzept teilen. Was richtig ist und allen nützt – das ist für den Einzelnen eher eine Belastung, denn es könnte bedeuten, dass sich das Individuum zugunsten einer größeren Idee einschränken müsste. Solche Revolution im Vorgarten dient eher der Willkürfreiheit des Einzelnen. Ausgerechnet die große Stadt Berlin, die als toleranter Ort für das friedliche Nebeneinander unterschiedlichster Lebensentwürfe und Exzentriker gilt, ist zum Schauplatz eines neuen Denunzianten- und Querulantentums geworden.
    »Wir sind ein Volk. Und ihr seid ein anderes. Ostberlin, 9. November 2009.« Am Tag der deutschen Einheit kleben die schwarzen Plakate mit der aggressiven Botschaft in weißen und gelben Lettern an Wänden, Litfasssäulen und Stromkästen in der Kollwitzstraße, der Winsstraße, am Helmholtzplatz und im Bötzowviertel. Wer die »Hassplakate« ( B.Z. ) 160 aufgehängt hat, die so viel professioneller wirken als die an die Hauswände gesprühten »Schwaben – verpisst – euch!«-Parolen, ist unbekannt. Wer »wir« und »ihr« sind, auch. Ossis und Wessis? Alteingesessene und Zugereiste?
    Andrej Holm hält solche Pöbeleien nicht nur für überflüssig, sondern auch für gefährlich: »Solche Plakate lösen in den Medien regelmäßig viel mehr Wirbel aus als neue Zahlen über Sozialstrukturveränderungen oder Mieterhöhungen.« Statt über die ökonomischen und politischen Hintergründe der Stadtentwicklung zu berichten,

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