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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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des Marthashof besucht. Hier stehen alle Zeichen auf Harmonie und Behaglichkeit. So wie hier mit Ruhe und Sicherheit geworben wird, mit der »grünen Oase«, könnte man fast glauben, hier entstehe ein Sanatorium und kein Wohn komplex inmitten des für seine Lebendigkeit geschätzten Prenz lauer Bergs. Aus den Lautsprechern plätschert leise Loungemusik, auf großen Plakatwänden sind Computersimulationen der künftigen Anlage zu sehen. »Edles erfreut das Auge, Harmonie erfreut das Herz« steht auf einer Stellwand; daneben Bilder von Dachterrassen mit Holzböden und weißen Sonnensegeln; Glyzinien umranken Pergolen mit Sitzbänken, Licht durchflutetet Wohnungen mit Fenstern bis zum Boden und hellen Designermöbeln. Dazwischen hängen »Impressionen« vom Prenzlauer Berg, Detailfotos von Cafés, umliegenden Läden, Spielplätzen, von der Kulturbrauerei, dem Markt am Kollwitzplatz und dem LPG -Biomarkt am Senefelder Platz, nach Selbstauskunft größter Biosupermarkt Europas. Sogar der Showroom bietet eigene Spielzimmer für Kinder. Selbst das ungeliebte Symbol des Prenzlauer Bergs, ein Glas mit Latte Macchiato, findet sich auf einem Foto. Man kann warme Milch mit einem Schuss Kaffee auch im Showroom bekommen; dort steht eine weiß glänzende Bulthaup-Küche, Modell B1 wird serienmäßig in die Wohnungen eingebaut. Im Raum sind ebenfalls weiße Plastikmöbel im kühlen Apple-Schick verteilt, dazwischen quietschgrüne Plastikhunde, die an Objekte von Philippe Starck erinnern. Es sind die Statussymbole der gehobenen urbanen Mittelschicht, Bausteine des exklusiven Geschmack, der kulturell Kreativen, die man nicht mit goldenen Wasserhähnen locken kann, sondern mit solchem Design. Starck, der französische Star-Designer, konzentriert sich mittlerweile darauf, Superreichen komplett eingerichtete Wohnungen an ersten Adressen zu verkaufen – genauer : »individuelle Oasen in urbanen Zentren«. Sein »Haute Couture Service« ist für 5000 bis 7000 Euro pro Quadratmeter zu haben. Ihn verkauft er an den »Smart Tribe«, das sind Menschen, die »wach sind, die bewusst leben, das Leben schöner machen wollen« – und vor allem: können. 165 Für sie gestaltet er derzeit 87 Wohnungen in Berlin Mitte nahe dem Regierungsviertel, mit Spreeblick und Wellnessanlage. Mit Individualität im Sinne von Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit haben solche Wohnungen überhaupt nichts zu tun, gibt es doch nur vier verschiedene Einrichtungsmodelle, zwischen denen der Käufer wählen kann. Für die Bäder gibt es fünf unterschiedliche Modelle. Diese Ästhetik ist weniger individuell denn uniform, aber der wichtigste Aspekt von Individualität bleibt durchaus erhalten: die Abgrenzung von den meisten anderen. Es geht in Wahrheit um Distinktion, um das Sich-Abheben vom Massengeschmack: Bulthaup und Philippe Starck markieren die Zugehörigkeit zu einem exklusiven Club. In der Konsumge sellschaft entscheidet schließlich der Geschmack darüber, wer dazugehört und wer nicht. »Harmonie von Freiraum und Geborgenheit, Sicherheit und gute Nachbarschaft« wirbt Marthashof; mit der guten Nachbarschaft sind aber nicht die Bewohner des Viertels gemeint, sondern jene, die man sich in dieser Enklave qua Geldbeutel ausgesucht hat. Solche abgeschlossenen »Wohneinheiten« markieren aber nicht mehr nur eine kulturelle, sondern auch eine soziale Abgrenzung. Lebensstile markieren soziale Unterschiede. Innerhalb des selben sozialen Milieus zu leben, verspricht Sicherheit. Den Wohn- und Lebensraum nur mit seinesgleichen teilen zu müssen, ist deshalb das wichtigste Verkaufsargument. Den hohen Preis, den Menschen dafür bezahlen, um unter ihresgleichen zu bleiben, nannte der französische Soziologe Pierre Bourdieu »Extrakosten für räumliche Distinktionsprofite«.
    Gute Adressen gegen den sozialen Abstieg
    Hartmut Häußermann 166 steht vor dem Fernseher in seiner Wohnung. »Können wir das gerade noch schnell anschauen?« Es läuft eine Bundestagsdebatte zum Bund-Länder-Programm Soziale Stadt. Das Programm, das in 570 »sozialen Brennpunk ten« deutscher Städte umgesetzt wird, ist gerade von 107 auf 28 Millionen Euro gekürzt worden. Häußermann leitete 1995 dessen Evaluierung. »Okay, da passiert gerade nichts, aber ich muss da ab und an reinschauen, können wir das im Hintergrund laufen lassen?« Er gilt als Vorkämpfer gegen die Spaltung der Stadt, gegen wirtschaftliche und soziale Ausgrenzung, gegen Chancenungleichheit bei der Bildung.
    Häußermann

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