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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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konzentrierten sich die Medien auf die Beschreibung des »Kulturkampfes in den Kiezen«. 161 Aus der Intoleranz gegenüber anderen Lebenssti len – insbesondere denen der Reichen – konstruieren Politiker schnell eine entpolitisierte »Neiddebatte«. Darunter lassen sich dann auch Brandstiftungen an Luxusfahrzeu gen in der Berliner Innenstadt bequem subsumieren; der Krieg der Lebensstile dient den politisch Verantwortlichen auf diese Weise zudem als Vorwand für noch mehr polizeiliche Repression. Niemand weiß das besser als Holm: 2007 wurde er wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet. Dem Wissenschaftler wurde vorgeworfen, Mitglied der Militanten Gruppe (MG) zu sein, einer Untergrundorganisation, der diverse Brandanschläge zur Last gelegt werden. 162 Das BKA war nach einer Internetrecherche auf Holm aufmerksam geworden und hatte festgestellt, dass er in seinen wissenschaftlichen Arbeiten Worte verwendete, wie sie auch die Militante Gruppe benutzte. Nämlich die sozialwissenschaftlichen Begriffe Gentrifizierung und Prekarisierung. Dafür wurde er ein Jahr lang observiert – und saß vier Wochen in Einzelhaft. Statt sich einer Debatte über Ausgrenzung durch Aufwertungsprozesse zu stellen, kriminalisiert die Politik lieber deren Kernbegriffe und nimmt die Wissenschaft in Sippenhaft.
    Letzte Stufe der Verdrängung: Supergentrifizierung
    Es ist ein scheußlich kalter Tag im Winter 2010. Scharfer Wind treibt Schneeflocken waagerecht durch Berliner Häuserfluchten. Auf einer Brache nahe der Bernauer Straße, wo das Dreieck Schwedter und Oderberger Straße zusammenläuft, leuchten die grelllila und grün gestrichene Wände eines Flachbaus gegen das Grau des Tages an. Auf eine Wand sind weiße stilisierte Blumen gemalt; der Zugang zum kleinen Innenhof des Marthashof-Showrooms ist mit dunkelbraunem Lochblech gerahmt, das auch als düsterer Sichtschutz die Häuserfronten des Marthashofs verkleidet. Im Hof stehen bauchige giftgrüne Plastiksessel, daneben kümmern an einem Rankgerüst im Hof die hölzernen Reste einer Glyzinie. »Im Zeichen der Glyzinie«, so die blumige Tagline des Investors, der Stofanel GmbH, wächst der Marthashof in nur wenigen hundert Metern Entfernung heran. Im Sommer sollen die lilafarbenen Blütengirlanden der Glyzinie den 3 000 Quadratmeter großen Garten des Marthashofs schmücken.
    »Die Glyzinie ist eine Kletterpflanze, die in sonniger Lage sehr schnell wächst und dazu neigt, mit ihren Haupttrieben jedes Rankgerüst zu überwachsen. (…) Der Blauregen ist infolge seiner Wuchskraft in der Lage, die Bausubstanz eines Hauses zu schädigen, indem seine Triebe beispielsweise Dachziegel verschieben, Regenfallrohre einschnüren, Stäbe von Geländern verbiegen und Rankseile durch Umschlingung aus der Verankerung reißen.« 163 Stofanel hätte kaum ein besseres Symbol als die Glyzinie wählen können. Denn was dem einen, nämlich Stofanel, als romantisch verklärtes Verkaufsargument für »naturnahes Wohnen mitten in der Stadt« dient, ist für die anderen, die umliegenden Bewohner, nichts weiter als ein Symbol für ihre Heimsuchung durch Besserverdienende: So wie die hartnäckig wachsende Pflanze breiten sich derartige Luxusanlagen schon seit geraumer Zeit im Viertel aus. Doch es ist vor allem der Marthashof, der für Unmut unter den Anwohnern sorgt.
    Als »Tsunami der Gentrifizierung« beschreibt die Anwohnerinitiative Marthashof solche Wohnprojekte an einem der letzten Orte im Prenzlauer Berg, der lange Zeit vor dem Einfall reicher Bewohner verschont blieb. Die Anwohnerinitiative fürchtet, dass dieser Tsunami das ganze Viertel überschwemmen und zerstören könnte, indem noch teurere Läden, Feinkostgeschäfte, Edelrestaurants, Luxusboutiquen nachziehen. »Das war bis vor wenigen Jahren ein wirklich verschlafendes Eckchen, ein Studentenviertel«, erinnert sich Claudia Hering, die seit 1998 in der Oderberger Straße wohnt, die an die Rückseite des Marthashof grenzt. Jetzt könne man schon an den Autos sehen, wie sich das Viertel verändert habe: Statt studentischer Schrottlauben parken dunkle Luxuskarossen in den Straßen. »Normale« Geschäfte wie etwa eine Bäckerei gebe es fast nicht mehr. »Stattdessen wird alles aufgehübscht für die, die hierherziehen.« Design- und Klamottenläden prägen das Bild. Auch in den Second-Hand-Läden finde man nur noch teure Markenkleidung, selbst für Kinder. Es wohnten gerade noch vier alte Leute von früher

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