Wir müssen leider draußen bleiben
Anhänger von »Wir wollen lernen« einen Gegendemonstranten heftig aus dem Weg schubste, der ein Schild mit der Aufschrift trug »Unterschicht grüßt Oberschicht: Eure Schule wollen wir nicht«. Er stürzte und prellte sich den Arm. 192
Der skrupellose Kampf der Reichen für »ihr« Gymnasium
Die Initiative »Wir wollen lernen« gibt es seit dem Frühjahr 2008. Da las Walter Scheuerl, der damals im Elternbeirat des Gymnasiums Hochrad im vornehmen Stadtteil Othmarschen saß, den Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Regierung im Internet, der auch den Beschluss über die Primarschule enthielt. Sogleich schickte er diesen über den Verteiler des Elternbeiratsvorsitzenden. »Jetzt sind Hunderttausende unzufrieden in der Stadt«, habe er sich gedacht und gefragt, »wer packt es jetzt an? Es braucht ja immer einen Kümmerer. Da war recht schnell klar: Es muss jemand Unabhängiges sein, der sich mit Schule auskennt und mit Medienrecht und Krisenkommunikation.« 193 Scheuerl, 50 Jahre alt, ist als Krisenkommunikator kein Unbekannter: 2010 vertrat er, da scheint sich fast ein Kreis zu schließen, den Textildiscounter Kik gegen den NDR , der die mittlerweile preisgekrönte Reportage Die Kik-Story – Die miesen Methoden des Textildiscounters 194 von Christoph Lütgert gesendet hatte. Lütgert berichtete darin über die Produktionsbedingungen des Konzerns in den Fabriken in Bangladesch. Er hält dem damaligen Kik-Geschäftsführer Stefan Heinig das Foto eines schwerkranken bangladeschischen Jungen vor die Nase und sagt: »Seine Cousine sorgt für ihn, sie arbeitet für Kik. Und sie verdient so wenig, dass sie sich keinen Arzt für ihn leisten kann. Wollen sie was dazu sagen?« Der grinsende Heinig wimmelt den Reporter ab. Kurz darauf erhielt der NDR einen Brief von Anwalt Scheuerl, darin die Vorgabe, der NDR dürfe die Begegnung mit dem Kik-Chef und die Bilder seiner Luxusvilla niemals zeigen. Er müsse das Material sogar vernichten. Weiter, schrieb Scheuerl, würden die gezeigten Frauen gar nicht oder nur selten für Kik arbeiteten. Scheuerl setzte sogar vor Gericht durch, dass der NDR die Kik-Story nicht wiederholen darf. Lütgert flog abermals nach Bangladesch, um sich von den Frauen eine eidesstattliche Erklärung unterzeichen zu lassen, und schließlich siegte der NDR dann doch vor Gericht. 195 Scheuerl vertritt als Anwalt außerdem Pelztier-, Schweine- und Hühnerzüchter und den Zirkus Krone, der für seine nicht-artgerechte Tierhaltung in der Kritik steht, in den rechtlichen Auseinandersetzungen mit Tierschutzgruppen wie PETA . 196 Die nahm etwa die Erzeugergemeinschaft Landkost-Ei unter die Lupe, die angeb lich Freilandeier verkauft, und fand kein einziges. Stattdessen konnten die Tierrechtler mit Videos belegen, dass die Hühner katastrophal gehalten wurden. Prompt schaltete Landkost ebenfalls Scheuerl ein. 197 Er sei, so befanden die PETA-Leute, ein »Anwalt ohne Moral«. 198 Seine moralische Überzeugung könnte man tatsächlich anzweifeln, wenn man verfolgt, wie kompromiss- und skrupellos er mit seiner Initiative vorging. Ein Werbespot etwa bemüht plumpe Horrorszenarien über das drohende »Schulchaos«: Kinder, die schreiend auf den Tischen tanzen, Lehrer, die von Schule zu Schule hetzen und gegen den Baulärm in Schulen anbrüllen müssen. Anschließend klagt eine Frau mit Perlenohrringen, sie fühle sich entmündigt, wenn andere über die Zukunftsperspektiven ihrer Kinder entschieden. 199 Doch so lächerlich das dilettantische Video wirkt: Der Druck, den das Netzwerk in der Öffentlichkeit gegen die Befürworter aufbaute, war ganz und gar nicht lustig. Scheuerl scheute sich nicht, Nazi-Vergleiche ins Feld zu führen: Der Leiterin der Hamburger Schulbehörde Christa Goetsch (die Scheuerl auf der Auftaktdemo »Hexe Christaxa« nannte 200 ) warf er vor, ihre Schulreform gleiche einer »Gleich schaltung« in der »Tradition der NS-Pädagogik des Erzie hungswissenschaftlers Peter Petersen«. 201 Die Initiative sammelte sogar Informationen über Mitglieder der Hamburger Schulbehörde, die mit der Umsetzung der Reform betraut waren. Diese erhielten Schreiben von Scheuerl, die detaillierten Angaben über ihren beruflichen wie privaten Lebenslauf enthielten, darunter »erfolglose Bewerbungen« und »Eintritt in die kommunistische Partei« in Jugendjahren. Die Hamburger Schulbehörde befand dies als »eindeutigen Einschüchterungsversuch«. Scheuerls Begründung: es sei von öffentlichem Interesse, wer die
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