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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Allgemeinheit, fällt den Apologeten der Leistungsideologie selten mehr ein, als mit der Kommunismuskeule loszuschlagen. »Die unterschwellige gesellschaftspolitische Grundlage war: Ein Gymnasiast hat es wirtschaftlich besser, dem muss man was wegnehmen oder ihn dazu bringen, dem Kind, das benachteiligt ist, Zeit und Unterrichtsgeschehen abzugeben. Das ist unsinnig«, sagt Scheuerl. »Das den Schülern aufzubürden, dass sie sich nicht mehr um sich selbst kümmern, sondern um andere – unter sozialen Gesichtspunkten mag das löblich sein. Das führt aber nicht dazu, dass alle besser werden, sondern dass die Spreizung extremer wird.« Das Gegenteil ist wahr, wie verschiedene Untersuchungen belegen: Gute Schulleistung und Chancengerechtigkeit gibt es gerade in den Ländern, in denen Kinder länger gemeinsam lernen. Denn das führt dazu, dass nicht der familiäre Hintergrund über den Bildungserfolg entscheidet, wie das in Deutschland der Fall ist, sondern die tatsächliche Leistungsfähigkeit: Eine Reihe von Studien belegt, dass im bisherigen System auch mittelmäßig begabte Kinder aus höheren Schichten aufs Gymnasien gelangten, während selbst leistungsstärkere Schüler mit schwachem sozialem Hintergrund dies nicht schaffen. 217 So belegt etwa die Berliner Element-Studie , dass eine längere gemeinsame Grundschulzeit zu insgesamt besseren Ergebnissen führt und dass auch die Lernstarken genauso gut, wenn nicht noch besser lernen. 218
    Der Bildungsforscher Andreas Schleicher, internationaler Koordinator der PISA -Studien, sagt: »Wenn Sie ein Land wie Deutschland, Ungarn oder die Tsche chische Republik nehmen, hier [in der PISA -Studie] im unteren Bereich eingezeichnet: das sind alles Länder, die diese Philosophie [der Selektion] sehr stark verankert haben, und Sie finden keines dieser sehr stark selektierenden Systeme unter den er folgreichen Staaten. Es gibt nicht eine einzige Ausnahme.« 219
    Die Angst der Mittelschicht als Waffe
    Bei Stefanie von Berg hängt ein Adventskranz über dem großen Esstisch, um den herum schwarze Stühle von Arne Jacobsen stehen. Kerzen brennen, auf dem Stövchen dampft Tee in einer Designglaskanne, und im Hintergrund läuft klassische Musik. Sie sagt: »Ich bin auch Elite. Mein Vater ist Professor, ich habe promoviert, ich habe eine Führungsposition, ich bin sogar adelig – aber trotzdem denke ich, es kann doch nicht sein, dass Menschen keine Chance haben.«
    Die Pädagogin ist Gründerin und Sprecherin von »Pro Schulreform«, Mutter eines 12-jährigen Sohnes und ehemalige Elternbeiratsvorsitzende an der Schule Rellingerstraße, die mit Reformpädagogik arbeitet. Sie sitzt als Abgeordnete der GAL ebenfalls in der Hamburger Bürgerschaft. Um den Tisch haben sich noch weitere Mitglieder der Initiative versammelt: Cons tanze Petersen, Christian Lührs und Michael Dürrwächter. Noch jetzt, Monate nach der Entscheidung, spürt man ihre Ernüchterung. Der Verein hatte sich erst gegründet, als Scheuerl bereits massiv an die Öffentlichkeit gegangen war. »Wir haben den anfangs nicht ernst genommen, die Schulreform war ja beschlossene Sache«, sagt von Berg. »Wir konnten ja keine Unterschriften für einen Volksentscheid sam meln, wir konnten nur sagen: Wir sind für das Gesetz«, ergänzt Christian Lührs. Sie führten einen aussichtslosen Kampf – rationale Argumente gegen Geld, Macht und Verunsicherung. Constanze Petersen, sie ist Ärztin und saß damals, wie Scheuerl, ebenfalls im Elternbeirat des Gymnasiums Hochrad in Othmarschen, hat den Bodenkrieg von »Wir wollen lernen« hautnah miterlebt. »Zugegeben: Ich spiele auch Golf. Da habe ich beobachtet, wie eine Großmutter Unterschriften bei Frauen sammelte – und zwar mit dem Argument: ›Das Gymnasium soll abgeschafft werden.‹« Eine der Frauen habe sie sogar sagen hören: »Ist das dann so, dass meine Enkel mit ›denen‹ – gemeint hat sie Migranten und sozial Schwache – zusammen sein müssen?« Solche verächtlichen Aussagen hat auch von Berg gehört, die bei Infoständen in den wohlhabenden Vierteln für die Primarschule warb: »Diese Affen sollen doch auf ihren Schulen bleiben.« Eine ältere Dame, die offenbar glaubte, Frau von Berg gehöre zu »Wir wollen lernen«, habe vor dem Elbe-Einkaufszentrum sogar gesagt: »Find ich toll, wie Sie sich engagieren. Können sie nicht auch dafür sorgen, dass diese ganzen Ausländer endlich Hamburg verlassen?«
    Constanze Petersen sucht nach einer Erklärung: »Wissen Sie, in

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