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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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»Anwalt ohne Moral« vor sich zu haben. Er wirkt ruhig, freundlich und zuvorkommend, gute alte Schule eben. Es ist Ende November 2010; drei Monate zuvor, im Juli, hat »Wir wollen lernen« den Volksentscheid gewonnen. 276 304 Bürger stimmten für den Erhalt der vierjährigen Grundschule, 218 000 für die Primarschule. Das relativ knappe Ergebnis belegt, dass »Wir wollen lernen« gar keinen so großen »Schneeballeffekt« 212 ausgelöst hat oder gar die Mehrheit der Bürger vertrat. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 39 Prozent – in den bürgerlichen Vierteln des Westens allerdings, der Hafencity und der Walddörfer, dort also, wo die Reichen der Stadt leben, war sie überdurchschnittlich hoch. 213 Das Wahlergebnis bedeutete nicht nur das Ende der Primarschulen, sondern auch das Ende der schwarz-grünen Koalition im Hamburger Senat: Unmittelbar nach dem Volksentscheid kündigte der Regierende Bür germeister Ole von Beust seinen Rücktritt an. Am Tag meines Treffens mit Scheuerl meldeten die Zeitungen, dass die Grün-Alternative Liste das Bündnis mit der CDU aufgekündigt hatte.
    Für Scheuerl war dies noch nicht das Ende des Kampfes um Besitzstandswahrung. Direkt nach dem Volksentscheid trug er sich mit dem Gedanken, aus der Kampagne »Wir wollen lernen« eine Wählergemeinschaft zu machen, um den Sieg gegen die Schulreform abzusichern: »Wenn ›Wir wollen lernen‹ nicht antritt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die SPD die stärkste Partei wird, die CDU zweitstärkste, und ob die FDP reinkommt, weiß man nicht. Das heißt, es könnte Rot-Grün oder Rot-Rot-Grün werden. Im Zweifelfall hätten wir wieder eine Senatorin Goetsch, und alles ginge wieder von vorne los – mit noch weniger Gegenwind von der CDU . Dann hätten wir außer einer Zeitverzögerung nichts erreicht.« Außerdem wolle man sich im Senat um eine »sorgsame Haushaltsführung« kümmern und darum, dass »Wirtschaft und Hafen weiter vorankommen, als es im Moment aussieht«.
    Eine Partei ist aus der Kampagne nicht entstanden, doch Walter Scheuerl trat als parteiloser Kandidat auf der CDU -Landesliste an und erhielt nach dem Spitzenkandidaten Bürgermeister Ahlhaus die zweitmeisten Stimmen auf der CDU - Landesliste. Jetzt ist er Mitglied der Hamburgischen Bür gerschaft und Vorsitzender des Schulausschusses. In dieser Funktion will er bildungspolitische Schwerpunkte in der CDU setzen. 214
    Walter Scheuerl wohnt mit Frau, Sohn und Tochter in einem Villenviertel in Blankenese. Dort leben die, die sich in der Regel keine Sorgen um ihre Zukunft machen müssen: das durchschnittliche Einkommen liegt bei 94 500 Euro. 215 Den Vorwurf, »Wir wollen lernen« sei eine elitäre Bewegung gewesen, weist Scheuerl jedoch zurück: »Das war nie ein sachliches Argument, sondern immer ein Versuch der Polarisierung.« In Hamburg würden mehr als die Hälfte der Kinder an Gymnasien angemeldet. »Das ist ja nicht Elite, sondern Eltern, die wollen, dass ihre Kinder aufs Gymnasium gehen.«
    Die andere Wahrheit ist: 10 Prozent der Hamburger Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss, deutschlandweit sind es 800 000 Jugendliche. Ein Viertel aller 15-Jähri gen kann nicht richtig lesen und schreiben. Das dreigliedrige Schulsystem in Deutschland steht international in der Kritik. Denn UNICEF hat in der Studie » Disadvantage in Rich Countries« festgestellt: Im deutschen Bildungssystem werden die Menschen zu früh sortiert, und diese Einsortierung lässt sich im späteren Leben nur schwer durchbrechen. OECD -Generalsekretär Angel Gurría kritisiert, dass in Deutschland Kinder der Oberschicht eine mehr als doppelt so hohe Studienchance haben wie Schüler aus den unteren Schichten: »In Deutschland können diese Ungleichheiten aber auf die Struktur des Schulsystems zurückgeführt werden. Bereits im Alter von zehn Jah ren werden Schulkinder auf die verschiedenen Zweige des Schulsystems verteilt, wobei Kinder aus sozial benachteiligten Familien häufig an Zweige verwiesen werden, in denen die Leistungserwartungen niedriger sind.« 216
    Die Idee der Chancengleichheit, die hinter der Primarschule steckt, ist für Scheuerl allenfalls »ideologisierte Gesellschaftspolitik«: »Der Großteil derer, die sich für die Primarschule engagiert haben, sind in der Linkspartei, ein Teil in der GAL oder im linken Flügel der SPD .« Die Schulreform ist zwar fraktionsübergreifend beschlossen worden, doch wenn es um soziale Gerechtigkeit geht und um Entscheidungen im Interesse der

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