Wir müssen leider draußen bleiben
»Deutsche Requiem« von Brahms zur Aufführung. Der Schauspieler Wolf Euba trägt Adalbert Stifters Die Sonnenfinsternis am 8. Juli 1842 vor, die höchst emotionale Schilderung des Moments, in dem mitten am Tag sich Finsternis über die Erde legt: »Es gibt Dinge, die man fünfzig Jahre weiß, und im einundfünfzigsten erstaunt man über die Schwere und Furchtbarkeit ihres Inhaltes.« Die Fernsehmoderatorin Anouschka Horn betritt im Abendkleid die Bühne und sagt: »Ohne jeden Kompromiss riskierte er sein eigenes Leben und gab es für andere hin.« Von dieser Sorte gab es schon mal einen, aber jetzt und heute gibt es nach Jesus Christus einen zweiten: Dominik Brunner. Der »S-Bahn-Held« ( Bild ) starb ein Jahr zuvor zwar nicht, wie Anouschka Horn das nahelegen möchte, für die Erlösung der Menschheit, aber immerhin bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Jugendlichen auf einem S-Bahnsteig mitten im Münchner Nobelviertel Solln, nachdem er Kinder in der S-Bahn gegen die selben Jugendlichen hatte verteidigen wollen.
Die Dominik-Brunner-Stiftung hat dieses Konzert anlässlich von Brunners erstem Todestag ausrichten lassen; es ist der Höhepunkt einer sagenhaften Heldenverehrung, die dem Verstorbenen zuteil wurde. Postum erhielt Brunner den Bayerischen Verdienstorden, den »Aktenzeichen- XY -Preis für Zivilcourage« und das Verdienstkreuz Erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland. In seinem Heimatort Ergoldsbach, wo der Jurist als Finanzvorstand der Ziegelfabrik seines Vaters arbeitete, steht ein überlebensgroßes Denkmal zu seinen Ehren. Feierlich enthüllt wurde es von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Die Skulptur, ein Mann, der sich mit abwehrender Hand schützend vor ein Kind stellt, steht vor dem Dominik-Brunner-Haus, das eine Kinderkrippe und einen Schülerhort beherbergt; ein weiteres Dominik-Brunner-Haus gibt es in Landshut. Die Stadt München nannte eine Straße in Solln Dominik-Brunner-Weg, die hessische Stadt Dietzenbach hat nun einen Dominik-Brunner-Platz. Für das Programmheft zum Konzert haben die Granden der bayerischen Politik und Gesellschaft Grußworte geschrieben: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, FC -Bayern-Manager Uli Hoeneß, Harald Strötgen, Vorstandsvorsitzender der Münchner Sparkasse, und der Münchner Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer. Der Münchner Erzbischof Richard Marx schließlich erkannte in Brunners Handeln die Umsetzung der christliche Maxime: »Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.« 273
So ist alles vorbereitet, dass der Abend im Münchner Gasteig zur Heiligsprechung gerät: »Frage dich bei allem: Was würde Christus tun?«, schlägt die Moderatorin Horn den höchsten Ton an, den sie trifft. Ob es allerdings wirklich das gewesen wäre, was Christus auf dem Heimweg in sein Reichenviertel ge macht hätte: einem Jugendlichen aus schlechten Verhältnissen mit der Faust ins Gesicht schlagen? Man weiß es nicht genau.
Was man genau zu wissen meint: Am 12. September 2009 saß Dominik Brunner in der S7 Richtung Solln. Dort bekam er mit, dass die beiden Jugendlichen, der 17-jährige Sebastian L. und der ein Jahr ältere Markus S., vier Schüler damit drohten, sie »abzuziehen« und zu schlagen. Brunner stellte sich schützend vor die Schüler und rief die Polizei. Nicht wegzuschauen, sondern einzugreifen: gewiss ein mutiger Schritt, ein beispielhafter Akt der Zivilcourage. Als Brunner mit den Jugendlichen am S-Bahnhof Solln ausstieg, prügelten die beiden Jugendlichen den damals 50-Jährigen brutal zu Tode. So jedenfalls die überlieferte Version des Vorgangs, wie sie bis zur Gerichtsverhandlung im Sommer 2010 die Berichterstattung in allen Medien dominierte.
Am Tag nach der Tat hielt Uli Hoeneß vor 69 000 Stadionbesuchern in der Münchner Allianz-Arena eine Trauerrede: »Unbegreifliches ist in unserer geliebten Stadt geschehen. Ein Münchner Bürger wurde von brutalen Schlägern zu Tode gebracht, weil er verhindert hatte, dass Kinder beraubt und belästigt werden. [ … ] Wir verneigen uns vor einem Menschen, der sein Leben hingegeben hat, um andere zu schützen.« Die Fußballprofis spielten mit Trauerflor. Drei Tage nach Brunners Tod wurde in München ein Gottesdienst unter freiem Himmel gehalten, an dem 500 Menschen teilnahmen; der ganze öffentliche Nahverkehr stand für eine Gedenkminute still. Am Vormittag bereits hatten Horst Seehofer und
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