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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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wenig unterhalb der Höchstgrenze im Jugendstrafrecht liegt, Sebastian L. zu sieben Jahren Freiheitsstrafe. Ein Exempel, das dem gesunden Volksempfinden voll und ganz entsprach.
    Ist es vorstellbar, dass die Justiz dem Druck nachgab, der vonseiten der Medien aufgebaut wurde? Die ihrerseits die Angst der Bevölkerung vor jugendlichen Intensivtätern schür ten und die beispiellose Heldenverehrung von Dominik Brunner in Szene setzten, dem weißen Ritter, der stellvertretend für alle versucht hatte, der Gewalt aus der Unterschicht etwas entgegenzustellen? »Staatsanwälte sind von Gesetzes wegen verpflichtet, Belastendes gegen, aber auch Entlastendes für Angeschuldigte zusammenzutragen. Nach acht Prozesstagen im Fall Brunner herrscht in wichtigen Fragen zum Tathergang Ratlosigkeit. Klar ist aber: Die Staatsanwaltschaft hat manch entlastendes Indiz beiseitegewischt, um den Mordvorwurf zu begründen«, kommentierte Jörg Schindler in der Frankfurter Rundschau . Neben Gisela Friedrichsen im Spiegel war die FR eine der wenigen Zeitungen, die den Prozessverlauf kritisierte.
    Für die Bevölkerung spielten diese juristischen Feinheiten, die erst nach und nach und viel zu spät in die Öffentlichkeit gerieten, längst keine Rolle mehr. Zu gut ließ sich die heroische Geschichte erzählen. Das Requiem auf den Helden von Solln in der Münchner Philharmonie fand nur wenige Wochen nach der Urteilsverkündung statt. »Man sollte nicht Dinge aufgreifen, die nicht zum eigentlichen Akt gehören«, sagt in der Pause ein älterer Herr, mit seiner Frau extra aus Regensburg angereist ist, um Brunner zu ehren, und er meint den Faustschlag Brunners. Ein jüngerer Mann sagt achselzuckend: »Letztlich zwingt doch niemand jemanden dazu, jemand anderen auszurauben.« »Die juristischen Nuancen beeinträchtigen nicht, was Brunner getan hat«, findet ein Mann im Sonntagsstaat und ergänzt: »Wenn das in der Bronx in New York passiert wäre, hätte das keinen interessiert.« Spektakulär sei, dass die Tat in Solln geschah. Das habe die Münchner Idylle getroffen. »Und wir haben uns doch hier immer sicher gefühlt.«
    Womöglich liegt genau da der Hase im Pfeffer, womöglich war das ein wesentlicher Grund für das einhellige Entsetzen: »Solche« Leute verirren sich für gewöhnlich nicht in vornehme Stadtteile, wo die Wohlhabenden unter sich bleiben. Kriminalität spielt in Reichenvierteln sonst nur in Form von Diebstählen eine Rolle.
    Tatsächlich war die Fallhöhe in der Causa Brunner eine andere als im Fall, sagen wir, Emeka Okoronkwo. Der Nigerianer hatte im Mai 2010 im Frankfurter Bahnhofsviertel beobachtet, wie zwei Frauen vor einem Salsaklub von Männern bedrängt und bespuckt wurden. Okoronkwo schritt ein. Auch er tat das nicht in vorbildlicher Weise: Er schlug den später angeklagten Robel G. und zückte ein Messer. Das entwandt dieser ihm und stach es dem 21-jährigen ins Herz. Okoronkwo verblutete. Zu seiner Trauerfeier kamen zwar hundert Gäste. An ein Bundesverdienstkreuz dachte ernsthaft niemand, und auch über ein geplantes Denkmal ist nichts bekannt geworden. Robel G. aber wurde nicht wegen Mordes verurteilt, sondern wegen Totschlags. 280
    Die pompöse Veranstaltung in der Münchner Philharmonie, so schien es, sollte die im Prozess aufgetauchten Zweifel über die Tugendhaftigkeit Brunners vom Tisch wischen. Sie war der Kitt, der die Risse im Sockel des Heldendenkmals wieder zu sammenfügte. Organisiert hatte das Konzert die Dominik-Brunner-Stiftung, die kurz nach dem Tod des Geschäftsmanns von dessen Freunden gegründet worden war. Sie hat wohlhabende Unterstützer: etwa den Rotary Club Traunstein, der ihr 25 000 Euro aus einem Golfturnier spendete. 281 Ein Fall des Helden hätte nicht nur das Ansehen der Stiftung beschmutzt, in dessen Kuratorium die Medienikonen Uli Hoeneß und Maria Furtwängler sitzen, sondern auch das Ansehen der Bundes-, Landes- und Stadtpolitiker, die der medialen und öffentlichen Vorverurteilung mit vorschnellen Ehrungen und Kommentaren beigesprungen waren.
    Die Dominik-Brunner-Stiftung – Motto: »Wo die Zivilcou rage keine Heimat hat, reicht die Freiheit nicht weit« – hat wesentlich daran mitgewirkt, Brunner zum Symbol der Zivilcourage werden zu lassen. »Das kann es doch nicht gewesen sein, dass da einer sein Leben lässt, das muss einen Sinn kriegen. Da müssen wir was langfristig auf die Beine stellen, damit das nicht komplett umsonst war«, sagt denn auch Andreas Voelmle, der im Vorstand der

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