Wir müssen leider draußen bleiben
Zwangssterilisation?
Die Wahrheit über die angeblich kaninchenartige Vermehrung der Unterschicht zum Zwecke des Geldeinstreichens ist die: Hartz-VI-Empfängerinnen müssen Verhütungsmittel aus dem Regelsatz selbst zahlen – während sie eine Abtreibung kostenlos bekommen. In einer Untersuchung von Pro Familia Köln aus dem Jahr 2007 gaben 80 Prozent der befragten ungewollt schwangeren Frauen aus der sogenannten Unterschicht an, dass sie sichere, aber teure Verhütungsmittel wie Pille oder Spirale nicht bezahlen können. Gleichzeitig erklärte mehr als ein Drittel der Frauen, seit dem Bezug von ALG II besser als zuvor zu verhüten – aus Angst, dass sich ihre Situation durch ein Kind noch weiter finanziell und sozial verschlechtern würde. Dies ist bei 80 Prozent der befragten Frauen der Fall, die ungewollt schwanger wurden. 269 Doch um Wahrheit geht es gar nicht in dieser Scheindebatte. Sondern um die Verteilung von Rechten und Vermögen. Dabei dienen sich auch Journalisten gern den Wertvorstellungen der Elite an und wiederholen uralte Denkmuster. Mit allzu viel Sozialkritik schafft man halt kein anzeigenfreundliches Umfeld und keine Auflage.
Axel Honneth bezeichnet solche Feuilletonisten als »normalisierte Intellektuelle«: fern jeglicher gesellschaftswissenschaftlicher Theorien, würden sie nur noch Meinungen inner halb ohnehin anerkannter Prinzipien äußern. Sie müssten anschlussfähig sein, während wahre Gesellschaftskritik die Aufga be hätte, genau diese gängigen Prinzipien zu hinterfragen. 270 Man kann Giovanni di Lorenzo fast als Protoyp des normalisierten Intellektuellen sehen. Während er mit seinen Zuwanderungsthesen nach unten tritt, sucht er den Schulterschluss nach oben – etwa in seiner Endlos-Serie »Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt«. Und jüngst mit seiner PR -Aktion für den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Di Lorenzo, zu Guttenberg – da findet zusammen, was zusammen gehört: Geldadel trifft Schreibadel. So kann man die beiden auf dem Autorenbild des Interview- Buchs Vorerst gescheitert schon kaum mehr unterscheiden: beide tragen eine dünnen dunklen Pullover über dem Hemd, zwischen ihnen das Aufnahmegerät, hinter ihnen der weiß getünchte Kamin im Zimmer des Luxushotels in London. Zwar musste sich di Lorenzo viel Kritik in der eigenen Redaktion gefallen lassen und Häme von den schreibenden Kollegen. Doch das milde kritisch geführte Interview, das nur schwammig die Einsicht des Doktorarbeitsabschreibers erkennen lässt, befördert zu Guttenbergs Rehabilitation. Schließlich kann der sich gut vorstellen, wieder in die Politik zu gehen. Erschütternderweise können das auch viele Deutsche: immerhin 49 Prozent wünschen sich, dass » KT « wieder die politische Bühne betritt. 271
Bürgerkinder in den Redaktionen
Michael Hartman ist diese »bemerkenswerte Entwicklung« in den Medien bereits lange aufgefallen. Schon allein deshalb, weil er als Elitenexperte selbst ein gefragter Interviewpartner ist. Denn er sagt Dinge, die zumindest konservative Redakteure, die am Elite-Modell festhalten, nicht gern hören wollen. »Die ärgert das richtig, dass ich als Kritiker der Eliten diese Position habe, und nicht einer aus ihren Reihen, der für die Elite eintritt«, sagt Hartmann. Er habe schon erlebt, dass er FAZ -Redakteuren, die zum Thema Elite recherchierten, ausführliche Interviews gegeben habe, und dass diese Redakteure ihn dann immer wieder dazu bringen wollten, sich pro Elitenbildung auszusprechen. Seine Argumente aber seien in die Texte gar nicht eingeflossen. Er sieht darin eine bewusste Verschiebung von Gewichten in eine von Anfang an gewünschte Richtung – und im Grunde auch eine Herabsetzung seines Status’ als Wissenschaftler.
In ihrer Dissertation Habitus, Herkunft und Positionierung: Die Logik des journalistischen Feldes hat Hartmanns Doktorandin Klarissa Lueg anhand von drei führenden deutschen Journalistenschulen die Herkunft von Journalisten und die Auswirkung dieser Abstammung auf ihren Beruf unter sucht. Sie fand eine geschlossene Herkunftsgruppe. Ihre Ergebnisse lassen auf entsprechend homogene Denkschemata schließen. 68 Prozent der Journalistenschüler, so Lueg, stammen aus gehobenen mittleren Schichten, ihre Eltern sind Akademiker, Unternehmer oder Ärzte, während Kinder von Facharbeitern oder ungelernten Arbeitern dort überhaupt nicht zu finden sind. Journalistenschulen gelten als exklusivste Kader der journalistischen
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