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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Stiftung sitzt. Voelmle ist ebenfalls bei der PR -Agentur Engel & Zimmermann Vorstandsmitglied. Diese ist unter anderem spezialisiert auf Krisenkommunikation und berät neben Konzernen wie Wiesenhof und Kik auch die Ziegelfabrik Erlos AG , die der Familie Brunner gehört sowie die Dominik-Brunner-Stiftung. Untergebracht ist die Agentur in einem hübschen, von einem gepflegten Park umgebenen Schlösschen in Gauting, einer Kleinstadt unweit des Starnberger Sees.
    Voelmle und die anderen Stiftungsmitglieder haben die Berichterstattung und den Prozess aufmerksam verfolgt. »Zu Prozessbeginn haben wir gesagt: Wir äußern uns nicht. Das Strafmaß hat uns nicht interessiert, das macht Herrn Brunner ja auch nicht mehr lebendig.« Sie hätten viele Interviewanfragen bekommen, doch keine beantwortet. Als die Stimmung aber zu kippen drohte, weil Brunner wegen des Erstschlags in Misskredit zu geraten begann, »da sind den Kollegen vom Vorstand die Haare zu Berge gestanden. Wir haben schon befürchtet, dass es dann heißt: Der Brunner war ein Schläger, der hat das verdient.« Da habe man beschlossen zu reagieren. »Alle, die ihn kannten, haben ihn immer als besonnenen Menschen erlebt. Das hat der nicht gemacht ohne Grund, der muss eine wahnsinnige Angst gehabt haben, sonst hätte er nicht zuerst geschlagen.« Sie seien deshalb »aktiv an die Medien herangegangen«, um all jene anzurufen, denen sie zuvor Interviews verweigert hatten: »Wir haben unsere Meinung geändert.« So sprachen sie mit der Süddeutschen , der Welt am Sonntag und » Frontal 21« , die einen Beitrag über die Täter-Opfer-Verdrehung sendeten.
    Es wäre gewiss zu einfach, den Prozessausgang der Arbeit von Kommunikationsprofis zuzuschreiben. Kein einzelner Akteur hat so viel Wirkmacht. Vielmehr geriet der Fall Brun ner zu einem Selbstläufer, dessen Schwung sich aus verschiedenen Quellen speiste: Da war zum einen das in dramatischen Farben gemalte Sittenbild von gefährlichen, ja: seelenlosen jugendlichen Intensivtätern, zum anderen ein großes Bedürfnis nach einem untadeligen Helden. Da waren wortgewaltige Fürsprecher, politischer Einfluss und eine mediale Aufmerksamkeitsökonomie, in der die Geschichte vom bürgerlichen Helden, der dem Pöbel zeigt, wo es langgeht, und dabei tragisch ums Leben kommt, ein immenses Kapital bedeutet.
    Sogar ein beinahe gutes Ende hatte die scheren schnittartig schlichte Narration: Der Tod des Helden wurde durch die beispiellos harte Bestrafung der Jugendlichen gesühnt.
    Gymnasiasten und Unterschichtmonster
    Wie viel anders, nämlich schlechter, sich durchaus ähnliche Vorgänge erzählen lassen, soll ein anderes Beispiel verdeutlichen: der Fall des Berliner U-Bahn-Schlägers Torben P. Sturzbetrunken hatte der 18-Jährige im April 2011 im U-Bahnhof Friedrichstraße einen 29-Jährigen fast totgeschlagen. Im Verlauf eines Streits schlug er ihm eine volle Cola-Flasche ins Gesicht, warf ihn zu Boden und trat dem Bewusstlosen mehrfach und mit voller Wucht an den Kopf. Auch hier gab es Menschen mit Zivilcourage, ein Tourist griff ein und zog sich dabei selbst Verletzungen zu. Das Opfer überlebte mit schweren Verletzungen.
    Anders als die Gewalttäter von München stammte Torben P. aus gutem Hause, er besuchte das Gymnasium. Torbens Eltern aber waren schwer krank und sogar Frührentner, der Vater leidet an Parkinson, die Mutter an Depressionen, der Junge selbst wechselte mehrfach die Schule. Ein junger Mann, der seelisch vielleicht angeschlagen und dann für einen Moment völlig aus dem Gleis geraten war – warum, kann man nur erahnen. Entsprechendes Einsehen hatten die Richter und verurteilten den jungen Mann vergleichsweise milde zu zwei Jahren und zehn Monaten Jugendstrafe, um seine Zukunftschancen durch eine hohe Gefängnisstrafe nicht völlig zu zerstören. Bis zur Vollstreckung des Urteils durfte Torben P. das katholische Liebfrauengymnasium in Berlin besuchen, eine Schule für Hochbegabte mit Leistungsschwäche. »Das Verfahren hat nicht den Täter zum Op fer gemacht, sondern aus dem Monster einen Menschen«, schrieb Die ZEIT . 282 So viel Empathie können Journalisten haben – allerdings nicht für jeden, nicht für Unterschichtmonster wie Markus S. und Sebastian L. Für eine Diskussion über Sinn und Unsinn hoher Haftstrafen, über den Ausbau sozialer Einrichtungen, über die Ursachen von Jugendgewalt gab es in ihrem Fall keinen Raum – stattdessen wurden, am Ende der langen Kette, die Gewalt entstehen lässt, wieder

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