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Wir müssen leider draußen bleiben

Wir müssen leider draußen bleiben

Titel: Wir müssen leider draußen bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Hartmann
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Bundespräsident Horst Köhler die Verleihung des Bayerischen Verdienstordens und des Bundesverdienstkreuzes angekündigt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel schickte ein paar Grußworte nach München, genau wie diverse Prominente, zum Beispiel Boxer Wladimir Klitschko, Schauspielerin Maria Furtwängler und Fernsehprediger Jürgen Fliege, der schon vor so weltlichen Dingen wie einer ordentlichen Gerichtsverhandlung ein Urteil über die Tat der Jugendlichen zur Hand hatte: »Dieser Mord hat das Potenzial, unsere Gesellschaft zu verändern.« 274
    Fliege gab damit nur wieder, was der öffentlichen Meinung zu entsprechen schien: Polizeibekannte Schläger, arbeitslos, asozial und verroht, haben im Alkohol- und Blutrausch einen mutigen und ehrbaren Geschäftsmann brutal ermordet. Einen Mann, der von seinen Freunden und Geschäftspartnern als friedlich und besonnen beschrieben wurde, ausgestattet mit einem tiefen Sinn für Gerechtigkeit. Zu seinem 50. Geburtstag habe er, so sickerte durch, keine Geschenke haben wollen, sondern Spenden für ein Krankenhaus. Als einen »Gentleman im positivsten Sinn« beschrieb ihn der Bürgermeister seines Heimatortes. 275
    Der Prozess und das Urteil
    In der Folge brachten die Medien weitere grausame Details der Tat ans fahle Tageslicht. Die Bild veröffentlichte einen Mitschnitt von Brunners Notruf bei der Polizei. Es sei schrecklich anzuhören, »wie ein Mensch totgeschlagen wird«, gab ein Ermittler zu Protokoll und beschrieb einen tobenden Täter: »Er schreit wie ein Tier.« 276 Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger bestätigte, wie sich später herausstellen sollte, leider ein wenig vorschnell: »Er hatte 22 sehr schwere Verletzungen, die in ihrer Gesamtheit zum Tod geführt haben.« Eigentlich lag da ein endgültiges Obduktionsergebnis noch gar nicht vor. 277 Dennoch lautete die Anklage: Mord aus niederen Beweggründen.
    Im Verlauf des Prozesses im Sommer 2010 begann das Heldenbild zu wackeln. Mehrere Zeugen hatten beobachtet, wie die Gewalttätigkeiten erst eskaliert waren, nachdem Brunner dem Hauptangeklagten mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte. Der Hieb des Helden war bis dahin als »Selbstverteidigung« in Nebensätzen der Berichterstattung untergegangen. »Jetzt gibt’s hier hinten Ärger«, soll Brunner gerufen haben, so der S-Bahnfahrer, bevor er Jacke und Rucksack abgelegt und sich tänzelnd mit erhobenen Fäusten auf die beiden Angeklagten zubewegt habe. »Na, bist wohl ein ganz Harter«, habe sich Sebastian L. noch über ihn lustig gemacht. Dann habe Brunner Markus S. ins Gesicht geschlagen. Erst einige Schrecksekunden später habe der reagiert und wie von Sinnen auf sein Opfer eingeprügelt, zunächst noch mit Hilfe des Freundes L… Der ließ aber schnell von Brunner ab und versuchte gar, Markus S. zu stoppen, als Brunner bereits am Boden lag. Ob es tatsächlich vorauseilende Notwehr war oder ob Brunner seine Kraft überschätzte, ob er mit seinem Faustschlag den kriminellen Burschen einfach nur hemdsärmelig zeigen wollte, wer der Herr im Haus ist – das alles ist möglich, bleibt aber letztlich ungeklärt. Sein Verhalten rechtfertigte nicht die Gewalt, die ihm die Jugendlichen angetan haben; sie bleibt ein Verbrechen und der Tod Brunners schrecklich. Doch Brunners Handgreiflichkeiten stellten die von den Medien so oft bemühte Vorbildfunktion des Verstorbenen plötzlich infrage: Er hatte sich selbst in Lebensgefahr gebracht. Nicht umsonst raten alle Experten in solchen Situationen zur Deeskalation. Die Staatsanwaltschaft aber befeuerte den Heldenmythos weiter und be hauptete, Brunner habe »alles richtig gemacht«. 278 Die wesent liche neue Erkenntnis, die sich im Verlauf des Prozesses herauskristallisierte, war jedoch: Dominik Brunner starb nicht an den Schlägen, sondern an Herzversagen. Sein Herz war krankhaft ver größert gewesen, es hatte den Stress der Situation nicht verkraftet. Keine der 22 Verletzungen, die ihm die Angeklagten zugefügt hatten, wäre für einen gesunden Menschen tödlich gewesen. Eine Erkenntnis, die auf das Strafmaß für die Angeklagten einen gewaltigen Unterschied hätte machen müssen, nämlich den zwischen Mord bzw. Totschlag und schwerer Körperverletzung mit Todesfolge. Die Staatsanwaltschaft jedoch fällte das Urteil »Mord aus niedrigen Beweggründen«. Begründung: Die Täter hätten sich an Brunner für dessen Einmischung rächen wollen. 279 Markus S. wurde zu neun Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt, was nur

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