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Wir nannten ihn Galgenstrick

Titel: Wir nannten ihn Galgenstrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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hielten mit ihrem winzigen Panzer all das Prestige einer erwählten, schmerzlich erwählten Rasse hoch. Diese Insekten waren im Bauch der ersten Mutter entstanden, die eine schöne Tochter geboren hatte. Doch es war unbedingt notwendig, dieser Erbschaft Einhalt zu gebieten. Jemand mußte darauf verzichten, diese künstliche Schönheit weiterzutragen. Es nutzte den Frauen ihrer Klasse nichts, nach der Rückkehr vom Spiegel über sich selbst zu staunen, wenn während der Nächte diese Tiere ihre langsame, wirksame, unermüdliche Arbeit mit einer Beharrlichkeit von Jahrhunderten verrichteten. Das war schon keine Schönheit mehr, es war eine Krankheit, der es Einhalt zu gebieten, die es energisch und radikal zu kupieren galt.
    Sie erinnerte sich noch an die nicht enden wollenden Stunden in ihrem von heißen Nadeln übersäten Bett. An jene Nächte, in denen sie die Zeit voranzutreiben suchte, damit diese Tiere bei Tagesanbruch nicht mehr schmerzten. Wozu nutzte eine Schönheit wie diese? Nacht für Nacht, in ihrer Verzweiflung versunken, dachte sie, es hätte ihr mehr genutzt, wenn sie eine gewöhnliche Frau oder ein Mann gewesen wäre, statt diese nutzlose Tugend zu besitzen, genährt von Insekten ferner Ursprünge, welche die unwiderrufliche Ankunft des Todes für sie beschleunigten. Vielleicht würde sie glücklich sein, wenn sie ebenso plump, ebenso trostlos häßlich wäre wie ihre tschechische Freundin, die einen Hundenamen besaß. Es hätte ihr mehr genutzt, häßlich zu sein, um friedlich schlafen zu können wie jeder beliebige Christenmensch.
    Sie verwünschte ihre Vorfahren. Sie waren schuld an ihrer Schlaflosigkeit. Sie hatten ihr diese unverwechselbare, genaue Schönheit mitgegeben, als schüttelten die Mütter nach ihrem Tod die Köpfe und erneuerten sie, um sie den Rümpfen ihrer Töchter aufzusetzen. Es war, als habe sich der gleiche Kopf, ein einziger Kopf mit den gleichen Ohren, mit der gleichen Nase, mit identischem Mund, mit seiner schwerfälligen Intelligenz auf alle Frauen übertragen, die ihn unrettbar empfangen mußten, wie ein schmerzliches Erbteil an Schönheit.
    Hier, in der Übertragung des Kopfes, war diese ewige Mikrobe, die sich im Verlauf der Generationen durchgesetzt, Persönlichkeit und Kraft gewonnen hatte, bis sie sich in ein unbezwingliches Wesen, in eine unheilbare Krankheit verwandelt hatte, die, als sie bei ihr ankam, nachdem sie einen komplizierten Prozeß der Kontrolle durchlaufen hatte, nicht mehr zu ertragen war und bitter wurde und schmerzhaft ... Genau wie eine Geschwulst oder wie ein Krebsgeschwür.
    In diesen Stunden der Schlaflosigkeit erwachte sie aus den unangenehmen Dingen zu ihrer großen Empfindsamkeit. Sie erinnerte sich an diese Gegenstände, die das Weltall der Empfindungen ausmachten, in denen wie in einem chemischen Saft jene beklemmenden Mikroben gezüchtet worden waren. In diesen Nächten ertrug sie mit runden, weitaufgerissenen, verwunderten Augen die Last der Dunkelheit, die auf ihre Schläfen fiel wie flüssiges Blei. Ringsum sie her schliefen alle Dinge. Und von ihrem Winkel aus ließ sie, um ihren Schlaf zu zerstreuen, die Erinnerungen ihrer Kindheit vorüberziehen.
    Doch stets endete dies Erinnern mit dem Schrecken vor dem Unbekannten. Stets landete ihr Denken, nachdem es durch die dunklen Ecken des Hauses geirrt war, vor der Angst. Dann begann der Kampf. Der wahre Kampf gegen drei unerschütterliche Feinde. Nie würde sie, niemals würde sie die Angst von ihrem Kopf abschütteln können. An ihre Kehle geklammert, mußte sie sie ertragen. Und nur, weil sie in diesem alten Herrenhaus wohnte, weil sie allein in diesem Winkel schlief, abgesondert von der übrigen Welt.
    Immer wanderte ihr Denken durch die feuchten Gänge und schüttelte den mit Spinnweben bedeckten Staub von den Portraits. Dieser beunruhigende, schreckenerregende Staub, der von dem Ort herabfiel, an dem die Gebeine ihrer Vorfahren zerfielen. Unweigerlich erinnerte sie sich an »das Kind«. Dort stellte sie sich es vor, schlafwandelnd, unter der Grasnarbe im Innenhof neben dem Orangenbaum mit einer Handvoll feuchter Erde im Mund. Sie glaubte es in seiner Lehmgrube zu sehen, mit Fingernägeln und Zähnen aufwärts grabend und vor der Kälte fliehend, die ihm im Rücken nagte; durch den kleinen Tunnel, in den man es mit den Schnecken gesteckt hatte, einen Ausweg in den Innenhof suchend. Im Winter hörte sie es, schmutzig von Lehm, vom Regen durchnäßt, leise weinen. Vollkommen sah sie es vor

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