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Wir nannten ihn Galgenstrick

Titel: Wir nannten ihn Galgenstrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Bruder zu hängen. Ein machtvoller Arm. Blut! Das passiert immer, wenn ich es zu rasch tue.
    Er suchte in seinem Gesicht die entsprechende Stelle; doch sein Finger blieb rein, und die Berührung wies auf keine folgerichtige Lösung. Er zuckte zusammen. Seine Haut zeigte keine Verletzung, doch dort im Spiegel blutete der andere leicht. Und in seinem Innern wurde für ihn wieder zur ärgerlichen Wahrheit, daß die Beunruhigungen der vergangenen Nacht wiederkehrten. Daß er jetzt, vor dem Spiegel, wieder die Empfindung, das Bewußtsein der Aufspaltung erlebte. Doch da war schon das Kinn (rund: gleiche Gesichter). Die Haare im Grübchen benötigen eine spitze Klinge.
    Er glaubte zu beobachten, daß eine Wolke der Verstörung über den hastigen Bewegungen seines Ebenbildes wuchte. Sollte es möglich sein, daß infolge der großen Schnelligkeit, mit der er sich rasierte - und der Mathematiker war vollkommen Herr der Lage -, die Lichtgeschwindigkeit nicht die Entfernung überbrückte, um alle Bewegungen festzuhalten? Konnte er wohl in seiner Eile das Spiegelbild überholen und seine Arbeit eine Bewegung vor jenem beenden? Oder sollte es möglich sein - und der Künstler vermochte nach kurzem Kampf den Mathematiker auszustechen -, daß das Bild ein Eigenleben gewonnen und beschlossen hatte - weil es in einer unkomplizierten Zeit lebte -, einfach langsamer fertig zu werden als seine äußere Person?
    Sichtlich besorgt öffnete er den Heißwasserhahn und fühlte den lauwarmen dichten Dampf aufsteigen, während das Plätschern des frischen Wassers auf seinem Gesicht ihm die Ohren mit Kehllauten füllte. Die freundliche Rauheit des frischgewaschenen Handtuchs auf der Haut ließ ihn mit der tiefen Befriedigung eines hygienischen Tiers atmen. Pandora! Das war das Wort: Pandora.
    Überrascht blickte er das Handtuch an und schloß verwirrt die Augen, während dort im Spiegel ein Gesicht, dem seinen gleich, ihn mit großen törichten Augen betrachtete, und das Gesicht war von einem dunkelvioletten Faden durchquert. Er öffnete die Augen und lächelte (lächelte). Nichts kümmerte ihn mehr. Mabels Laden war eine Büchse der Pandora. Der warme Geruch der Nieren in Soße beglückte seinen Geruchssinn mit zunehmendem Drängen. Und er fühlte mit Befriedigung - mit positiver Befriedigung -, daß in seiner Seele ein großer Hund sich anschickte, mit dem Schwanz zu wedeln.

Augen eines blauen Hundes
    1950
     
    Dann blickte sie mich an. Ich dachte, sie blicke mich zum ersten Mal an. Doch gleich darauf, als sie hinter dem Leuchter kehrtmachte und ich über der Schulter ihren schlüpfrigen, öligen Blick im Rücken fühlte, begriff ich, daß ich sie zum ersten Mal anblickte. Ich zündete eine Zigarette an. Ich atmete den kratzenden, starken Rauch ein, bevor ich den Stuhl drehte, ihn auf einem der Hinterbeine balancierend. Dann sah ich sie dort, wie sie die ganzen Nächte neben dem Leuchter gestanden und mich angeblickt hatte. Kurze Minuten lang taten wir nichts anderes als dies: uns anblicken. Ich blickte sie von meinem Stuhl aus an, den ich auf einem seiner Hinterbeine balancierte. Sie stand, hielt eine lange stille Hand über dem Leuchter und blickte mich an. Wie in allen Nächten sah ich ihre angemalten Lider. Dann erinnerte ich mich an das Immergleiche, als ich zu ihr sagte: »Augen eines blauen Hundes«. Ohne die Hand vom Leuchter fortzunehmen, sagte sie: »Sehr richtig. Das werden wir nie mehr vergessen.« Sie trat aus meinem Gesichtskreis und seufzte: »Augen eines blauen Hundes. Ich habe das überall aufgeschrieben.«
    Ich sah sie zum Toilettentisch gehen. Ich sah sie im runden Mond des Spiegels erscheinen und mich nach einem Hin und Her mathematischen Lichts anblicken. Ich sah sie mich mit ihren großen Augen entflammter Asche anblicken: mich anblicken, während sie das Kästchen mit eingelegtem rosafarbenem Perlmutt öffnete. Ich sah sie ihre Nase pudern. Als sie damit fertig war, schloß sie das Kästchen, setzte sich wieder in Bewegung, und von neuem auf den Leuchter zugehend sagte sie: »Ich fürchte, jemand träumt von diesem Zimmer und bringt mir meine Dinge durcheinander«; und sie hielt dieselbe lange zitternde Hand, die sie gewärmt hatte, bevor sie sich vor den Spiegel setzte, über die Flamme. Und sie sagte: »Du spürst die Kälte nicht.« Und ich sagte: »Manchmal.« Und sie sagte: »Jetzt mußt du sie aber spüren.« Dann begriff ich, warum ich nicht allein auf dem Stuhl hatte sitzen können. Es war die Kälte, die mir

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