Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wir nannten ihn Galgenstrick

Titel: Wir nannten ihn Galgenstrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
in ihren Träumen gesagt zu haben. Dann schrieb sie es auf die Servietten und ritzte es mit dem Messer in die lackierten Tischplatten ein: »Augen eines blauen Hundes«. Und auf die Milchglasscheiben der Hotels, der Bahnhöfe, aller öffentlichen Gebäude schrieb sie mit dem Zeigefinger: »Augen eines blauen Hundes«. Sie sagte, einmal sei sie in eine Drogerie gekommen und habe den gleichen Geruch gespürt, den sie, nachdem sie von mir geträumt, in ihrem Zimmer eingeatmet hatte. »Er muß nah sein«, dachte sie, als sie den sauberen neuen Fliesenboden der Drogerie sah. Dann trat sie auf den Verkäufer zu und sagte zu ihm: »Ich träume immer von einem Mann, der zu mir sagt: >Augen eines blauen Hundes<.« Und sie sagte, der Drogist habe ihr in die Augen gesehen und zu ihr gesagt: »In Wirklichkeit, Señorita, haben Sie solche Augen.« Und sie sagte zu ihm: »Ich muß diesen Mann treffen, der mir genau das in meinen Träumen sagt.« Und der Verkäufer lachte los und ging auf die andere Seite des Ladentischs. Sie blickte nach wie vor auf den sauberen Fliesenboden und saugte den Geruch ein. Dann öffnete sie ihre Handtasche, kniete nieder und schrieb mit ihrem karminroten Lippenstift in großen roten Buchstaben auf den Fliesenboden: »Augen eines blauen Hundes«. Der Verkäufer kehrte von dem Platz zurück, wo er gestanden hatte und sagte: »Señorita, Sie haben den Fliesenboden beschmutzt.« Und reichte ihr einen feuchten Lappen und sagte: »Machen Sie ihn sauber.« Und sie sagte, noch immer neben dem Leuchter stehend, sie habe den ganzen Nachmittag auf den Knien den Fliesenboden geputzt und gesagt: »Augen eines blauen Hundes«, bis die Leute vor der Ladentür zusammengelaufen seien und gesagt hätten, sie sei verrückt.
    Nun, nachdem sie zu sprechen aufgehört hatte, saß ich noch immer in meiner Ecke und balancierte auf meinem Stuhl »Ich versuche mich jeden Morgen beim Aufwachen an die Worte zu erinnern, mit denen ich dir begegnen kann«, sagte ich. »Jetzt glaube ich, daß ich es morgen nicht vergessen werde. Dennoch habe ich immer dasselbe gesagt und beim Erwachen immer vergessen, welche Worte es sind, mit denen ich dir begegnen kann.« Und sie sagte: »Du selbst hast sie am ersten Tag erfunden.« Und ich sagte: »Ich habe sie erfunden, denn ich habe deine Aschenaugen gesehen. Doch nie erinnere ich mich am folgenden Morgen daran.« Und sie atmete neben dem Leuchter tief, mit geballten Fäusten: »Wenn ich mich wenigstens jetzt daran erinnern könnte, in welcher Stadt ich es geschrieben habe.«
    Ihre aufeinandergebissenen Zähne schimmerten über der Flamme. »Ich möchte dich jetzt berühren«, sagte ich. Sie hob das Gesicht, das in die Glut geblickt hatte; hob den glühenden Blick, der sich erhitzte wie sie, wie ihre Hände; und ich spürte, daß sie mich in meinem Winkel sah, wo ich noch immer saß und auf dem Stuhl schaukelte. »Du hast mir das nie gesagt«, sagte sie. »Jetzt sage ich es, und es ist die Wahrheit«, sagte ich. Auf der anderen Seite des Leuchters bat sie um eine Zigarette. Der Stummel war zwischen meinen Fingern verschwunden. Ich hatte vergessen, daß ich rauchte. Sie sagte: »Ich weiß nicht, warum ich mich nicht daran erinnern kann, wo ich es geschrieben habe.« Und ich sagte zu ihr: »Aus demselben Grund, aus dem ich mich morgen früh nicht an die Worte werde erinnern können.« Und sie sagte traurig: »Nein. Ich glaube nämlich manchmal, daß ich auch das geträumt habe.« Ich stand auf und schritt auf den Leuchter zu. Sie stand etwas weiter weg, und ich schritt weiter, Zigaretten und Streichhölzer in der Hand, die nicht über den Leuchter hinüberreichen würde. Ich bot ihr eine Zigarette an. Sie steckte sie zwischen die Lippen und beugte sich vor, um die Flamme zu erreichen, bevor ich Zeit hatte, ein Streichholz zu entzünden: »In irgendeiner Stadt der Welt müssen auf allen Mauern diese Worte stehen: >Augen eines blauen Hundes<«, sagte ich. »Wenn ich mich morgen daran erinnerte, würde ich dich holen.« Wieder hob sie den Kopf und hielt bereits die brennende Zigarette zwischen den Lippen. »Augen eines blauen Hundes«, seufzte sie in Erinnerung, mit zum Kinn herabhängender Zigarette und einem halb geschlossenen Auge. Dann atmete sie den Rauch ein, die Zigarette zwischen den Fingern, und rief: »Das ist etwas anderes. Mir wird heiß.« Und sie sagte es mit lässiger ausweichender Stimme, als habe nie es in Wirklichkeit nicht gesagt, sondern nur auf ein Stück Papier geschrieben und

Weitere Kostenlose Bücher