Wir nennen es Politik
Eltern. Sie haben einen Anspruch darauf, eine Schultüte und Weihnachtsgeschenke zu bekommen. Sie bestellen Weihnachtsgeschenke und sind wütend, wenn die Bestellliste nicht eingehalten wurde.
Vermehrt finden wir den Servicegedanken auch in der Politik. Wenn jemand ein Amt inne hat, dann können wir etwas von ihm erwarten. »Diese Bürgermeisterin hat immer noch keinen Tunnel durch den Berg gebaut! Wir warten jetzt schon fünf Jahre!« Dass die Einwohner am Fuß des Berges gegen den Tunnel protestieren, weil alle zwar schnellere Verbindungsstraßen haben wollen, aber bloß nicht vor der eigenen Haustür, das spielt keine Rolle. Sie ist schließlich Bürgermeisterin. Sie muss sich doch was einfallen lassen. Sowieso machen die da oben alles falsch!Das Problem dieser Erwartungshaltung ist aber, dass von Erwartungen allein auch nichts besser wird.
Also, nachdem ich mir bisher für dieses Buch die Finger blutig getippt habe, was wir alles tun können, um Bürgerbeteiligung zu verbessern, muss ich mir jetzt Sie vorknöpfen. Und mit »Ihnen« meine ich jeden und jede, die nicht im engeren Sinne aktiv in der Politik ist, sondern passiv. Es handelt sich hier immer noch um Politiker, passive Politiker, in dem Sinne, dass wir alle gemeinsam an unserer Gesellschaft arbeiten. Egal, ob wir diese Verantwortung wahrnehmen oder nicht. Denn natürlich hat jeder Einwohner einen massiven Einfluss auf die Politik seines Landes. Sei es als Wähler, als Leserbriefschreiber, als Konsument, als Feedbackquelle oder eben als schweigende Masse. Jeder hat Einfluss, Sie also auch, ob Sie wollen oder nicht. Und da Sie das haben, wird auch von Ihnen etwas gefordert.
Sehen wir uns an, welchen Einfluss jeder Mensch auf die Politik hat. Die meisten von uns zahlen Steuern. Wir geben dieses Geld an unsere Kommunal-, Landes- und Bundesverwaltung. Aus diesem Geld werden Politiker bezahlt. Dafür, dass sie »gute Politik« machen. Sie tragen Anzüge und sehen kompetent aus, und auch das ist Teil dessen, wofür wir sie bezahlen. Sie sollen uns Vertrauen geben. Und sie sollen Lösungen liefern. Sollte irgendwann eine dieser anzugtragenden Lösungsmaschinen einen Fehler machen, bleibt uns vor Wut die Spucke im Hals stecken. Da sollen doch schließlich die Kompetentesten der Kompetenten sitzen! Also fordern wir sofortigen Rücktritt,wir schreiben wütende Briefe und wir kaufen Zeitungen, in denen große, lange, wütende Artikel über diesen Politiker stehen.
Fehler sind nicht akzeptabel. Also, bei Ihnen und mir natürlich schon. Wir haben ja kein Amt oder Mandat. Wir müssen nicht alles können, nicht perfekt sein. Aber die schon. Besagter Politiker tritt zurück. Freude! Die anderen sind plötzlich noch perfekter, noch anzugtragender. Sie bekommen Angst, auch nur den kleinsten Fehler zu offenbaren, denn dann bekommen sie ebenfalls den Hass der Nation ab. Also kehren sie ihre Fehler unter den Teppich. Dass daraus finanzieller und politischer Schaden entsteht, der oft viel zu spät auffällt, ist erst mal nicht wichtig. Denn wenn mal ein Problem aufkommt und man kann es nicht zu mir zurückverfolgen – wen kümmert’s. Und wir, die Bevölkerung, gewöhnen uns immer mehr daran, dass Politiker keine Fehler machen. Weil es so eine schöne, beruhigende Vorstellung ist. Wir wollen geborgen sein. Wir wollen vertrauen.
Doch Vertrauen allein reicht nicht. Dafür ist die Aufgabe viel zu groß und viel zu schwer. Wenn das Schiff in den Sturm kommt, genügt es nicht, einen guten Kapitän zu haben, solange die Mannschaft rumliegt und sagt: »Ach ja, der Kapitän. Der bekommt alles hin.« Auch der beste Kapitän kann einen Dreimaster nicht allein steuern. (Man vergebe mir die nautischen Metaphern.) Dylan Moran hat dies als das größte Problem von US -Präsident Obama bezeichnet: »Wie haben wir uns alle gefreut, als er gewählt wurde. Endlich ein kluger Mann auf dem Posten. Aber sein Problem sind wir! Wir lieben ihn! Er steht da undsieht ganz überzeugend aus und sagt kluge Dinge und sagt: ›Die Lage ist schwer, wir müssen hier alle zusammenarbeiten …‹, und wir sagen: ›NEIN!! MACH DU ES!! DU BIST SUPERJESUS!‹«
Oft sind Zusammenhänge zu komplex, oder man verrennt sich in irgendwas. Da kann man als Politiker noch so fähig sein. Der einzige Ausweg ist, es zuzugeben und zurückzurudern. (Mir fallen wieder nur nautische Begriffe ein.) Jedenfalls muss man auch als Politiker seine Fehler zugeben können. Und die Atmosphäre dafür kann nur die Bevölkerung
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