Wir sehen uns in Paris
wollte sie etwas in Mathe fragen.« Die nächste Lüge, die ihr glatt über die Lippen geht. Hannah schämt sich. Erst recht, als sie Astrids leises Lachen hört. »Der Ärmste. Ist er immer noch verknallt in Isabella?«
»Ja, ist er, aber das würde er niemals zugeben«, antwortet Hannah.
»Nein, natürlich nicht. Sag Isabella, sie soll auf jeden Fall noch einmal anrufen. Und lernt ordentlich.«
»Ja, machen wir. Tschüss, Astrid.« Hannah atmet tief durch. Puh, hoffentlich geht das gut. Dass Isabella zurückrufen soll, macht ihr keine Bauchschmerzen. So etwas vergisst man schnell. Und hoffentlich vergisst Astrid es auch.
Hannah boxt kräftig auf das rot karierte Kissen, das Isabella ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hat. Selbst gemacht, mit aufgesticktem Hirsch. Am liebsten würde sie Isabella selbst schütteln, boxen. Sie merkt erst jetzt, wie rücksichtslos ihr Plan ist, zu Clara zu fahren. Rücksichtslos und gefährlich. Heute Nachmittag bei Eis und Sonnenschein hat sie sich zwar auch schon Sorgen gemacht, aber Isabella klang so überzeugend. Jetzt kommt Hannah ins Grübeln. Das kennt sie schon von sich. Nachts werden alle Gedanken groß: Was, wenn doch nicht alles so glatt läuft? Und warum meldet Isabella sich nicht?
Sie tippt ihre Handynummer. Aber da geht nur ihre Mailbox ran. Mensch, Isa, mach dein doofes Handy an! , möchte sie ihr zurufen.
Gleichzeitig schleicht sich ein anderer Gedanke an: Was ist, wenn sie es gar nicht zurückhat, das Handy, die Fahrkarte? Das bedeutet, sie hat ihre Tasche nicht zurück und somit auch kein Reservegeld. Nichts. – Ach Blödsinn, das sind doch Drehbuchfantasien! Schlechte dazu. Hannah greift nach dem neuen Buch, das Mama ihr gestern mitgebracht hat, und versucht, zumindest kurz nicht mehr an Isabella, Clara und Paris zu denken.
Die S-Bahn hält am Hauptbahnhof. Isabella wird mit den anderen Reisenden aus dem Waggon gedrängt. Als sie auf den Bürgersteig springt, zuckt sie zusammen vor Schmerz. Sie muss vorsichtiger sein mit ihrem kaputten Bein, darf nicht zu fest auftreten. Außerdem rumort es in ihrem Magen. Hunger! Der Eisbecher Happy End war das letzte, was sie heute gegessen hat.
Ob dieser Tag wohl ein Happy End für sie haben wird? Hannah hat es ihr gewünscht und so ein Wunsch muss einfach in Erfüllung gehen. Das beschließt Isabella zumindest. Immerhin hat die Fahrkarte nach Paris mehr als 200 Euro gekostet. Nämlich genau 213,40 Euro. Das war ihr beim Kauf im Reisebüro egal. Hauptsache, sie schafft es zu ihrer Schwester Clara!
Fast all ihre Ersparnisse sind verbraucht. Bis auf die 70 Euro, die sie als Taschengeld noch zu Hause hatte und die in ihrem Geldbeutel stecken. Aber die sind nun leider auch weg. Dabei hat sie so lange gespart. Langsam vertreibt die Wut auf den Dieb ihr mulmiges Gefühl. Sie muss ihn aufspüren!
Isabella denkt an Hannah. Genau jetzt hätte sie ihre allerbeste Freundin gern bei sich. Sie könnte sie gebrauchen als Stütze. Aber Hannah hält zu Hause für sie die Stellung. Das ist ihr klar.
Im Hauptbahnhof drängeln und hasten Reisende an ihr vorbei. Koffer klackern über den Boden. Es riecht nach Pommes und Döner. Wie soll sie hier nur jemanden finden? Sie sieht sich suchend um, doch der Bahnhof mit seinen vielen Ebenen, mit all den Geschäften und Ständen ist einfach zu unübersichtlich.
Auf der Anzeigetafel schaut sie nach Gleis und Abfahrtzeit des Zuges nach Paris. In zwanzig Minuten fährt er von Gleis 8. Vielleicht hat sie dort bessere Chancen, John zu finden. Nach Dannis Worten zweifelt sie nicht mehr daran, dass er die Fahrkarte wirklich benutzen wird.
Isabella lässt sich von der Rolltreppe nach oben tragen. Die Abendsonne durchflutet die gläserne Halle und sie schließt für einen kurzen Moment die Augen. Die Geräuschkulisse kommt ihr dabei so unwirklich vor. Lautsprecherdurchsagen verkündigen An- und Abfahrtzeiten. Das Rauschen einfahrender Züge fängt sich in dem riesigen Glasgewölbe und legt sich wie eine Decke über alles.
Am Bahnsteig angekommen, läuft Isabella von Abschnitt A bis E und wieder zurück. Sie schlängelt sich zwischen den Reisenden durch, streift Rücken und Schultern, stolpert über Taschen und merkt, wie ihr Bein immer stärker schmerzt. Aber sie findet den Jungen nicht.
Neben ihr gehen zwei bärtige Heavy-Metal-Typen. Sie halten riesige Taschen so, als hätten sie kein Gewicht und schlurfen schweigend nebeneinander her. Isabella schaut kurz zu ihnen hinüber und ihre Blicke
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