Wir sehen uns in Paris
kleinen Bruder in die Küche. Dort gibt es Kekse und Tee. Im Fernseher auf der Arbeitsplatte läuft ein Zeichentrickfilm: Eine schwarze Katze verfolgt eine Maus und tappt von einer Falle in die nächste. So kommt sich Hannah auch gerade vor.
Ihre Eltern sind heute auf einer Geburtstagsfeier eingeladen. Sie werden sich bestimmt Zeit lassen und den Abend genießen. Mama war schon heute Morgen während des Frühstücks ganz aufgeregt und irgendwie verzaubert. Von da droht also im Augenblick keine Gefahr.
Hannah schleicht durch den Flur in ihr Zimmer und schließt leise die Tür. Sie fühlt sich auf einmal schlecht und ist traurig, weil ihre Welt so kompliziert geworden ist. Gut, dass bei Isabella bis jetzt alles geklappt hat. Morgen früh ist die Welt wieder in Ordnung, tröstet sie sich. Sie setzt sich auf ihr Bett und denkt nach. Was soll sie Astrid sagen? Sie braucht eine astreine Geschichte, eine, die absolut wasserdicht ist und bis morgen früh hält.
Hannah dreht den Schlüssel in ihrer Zimmertür herum. Das ist eigentlich ein absolutes No-Go ! Verschlossene Türen gibt es nicht bei der Familie Herzbluth.
Und natürlich kriegt Ben es prompt mit. »Hey!«, brüllt er. »Seit wann schließt du ab? Was ist mit Isabella? Sag es endlich!«
»Es ist alles gut«, schreit Hannah zurück. »Ich erzähle dir morgen alles, okay?«
»Hat sie etwa einen Freund? Ist er mit ihr durchgebrannt?«, versucht Ben es noch einmal durch die geschlossene Tür. Hannah muss, obwohl sie vor Nervosität leicht zittert, plötzlich lachen.
»Ach, mein Lieblingsbruder. Keine Sorge, du hast noch alle Chancen der Welt. Kein Freund in Sicht.«
»Erstens hast du nur einen Bruder und zweitens will ich keine Chance bei Isabella. Ich will nur wissen, warum du so komisch bist.«
Hannah verdreht die Augen. »Ich bin gar nicht komisch und jetzt lass mich bitte mal fünf Minuten in Ruhe.« Zweimal rumst es noch an der Tür. Dann hört sie, wie Ben in sein Zimmer geht und die Tür ins Schloss knallt.
Hannah hält das Telefon fest umklammert und wirft sich auf ihr Bett. Sie versucht, ruhig zu werden. Sie muss unbedingt einen klaren Kopf bekommen. Sonst kann sie Isabella nicht helfen.
Der heutige Tag fühlt sich so komisch an, so wirr, so ungewohnt. Es kommt Hannah vor, als würde Isabella sich von ihr entfernen. Dafür hat sie ein Gespür. Sie sind nun schon lange beste Freundinnen. Und wenn sie ehrlich ist, fühlt sie sich heute unwohl. Unheimlich sogar. Ihr Blick bleibt an dem Freundschaftsschwur hängen, den Isabella und sie schriftlich an der Wand verewigt haben und wandert dann zum Fenster. Der Wind bauscht leicht die fliederfarbenen Vorhänge. Sie setzt sich auf. Mit dem Kopf nach oben kann sie besser denken. Und besser telefonieren. Sie legt sich eine Geschichte zurecht. Insgeheim verflucht sie nun Isabella dafür, dass sie sie in eine solche Situation gebracht hat. Mit zitternden Händen wählt sie die Nummer der Morgensterns.
»Hannah, schön, dass du zurückrufst. Ich nehme an, Isabella ist bei dir? Gibst du sie mir mal?« Astrids Stimme ist so klar. Und doch: Sie hört sie wie von ferne. Jetzt nur nicht stottern. Hannah spürt, wie ihr das Blut in den Kopf steigt. Gut, dass Astrid sie durchs Telefon nicht sehen kann.
»Isabella ist gerade im Bad«, lügt Hannah. »Hat sie denn nicht gefragt?«
»Was gefragt?« Astrid klingt ungeduldig.
»Isabella und ich wollen heute Abend für die Englischarbeit lernen. Sie will hier schlafen. Mama ist einverstanden. Ist das okay?« Hannah wundert sich selbst über ihre feste klare Stimme.
»Nein, das ist nicht okay«, hört Hannah Astrid antworten und zuckt zusammen. »Isabella hat mir nichts davon gesagt, und eigentlich wisst ihr, dass ich so etwas ohne Absprache nicht sonderlich gern habe …« Sie macht eine kurze Pause. »Ich kenne euch doch. Ihr giggelt und albert bis spät in die Nacht und seid morgen todmüde. Dann ist gleich der halbe Samstag verdorben. Und außerdem: Ihr wolltet mir doch bei der Fensterdekoration helfen.«
»Das machen wir auch«, versichert Hannah schnell. »Mama passt schon auf, dass wir nicht zu spät schlafen.« Oje, hoffentlich war das kein Fehler – nicht, dass Astrid jetzt Mama sprechen will …
»Also gut.« Eine kleine Weile hört Hannah nichts. Dann: »Ist Isabella endlich da?«
Hannahs Herz klopft bis zum Hals. Sie muss dieses Gespräch so schnell wie möglich beenden. Astrid darf nicht misstrauisch werden.
»Ich glaube, sie ist gerade bei Ben. Der
Weitere Kostenlose Bücher