Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
sie ihn an. Sie hat ihre Hand beruhigend auf seinen Arm gelegt. Vor ihr und ihm der gedeckte Tisch. Das Tuch, das sie darauf gelegt hat. Zwei Becher, zwei Teller, Messer, Gabeln. Brot, Käse, eine Flasche roten Wein. Die Flasche ist entkorkt. Zwei Kerzen brennen im Leuchter, es riecht nach dem Schwefelholz, mit dem sie die Dochte angezündet hat. Wie lange sie ihn wohl angesehen hat?
Gib mir einen Schluck, sagt Heinrich. Entschuldige. Ich bin ganz durcheinander.
Es geht gleich vorbei.
Gut, dass wir aus dem Leben gehen, denkt Henriette; ihm das Trinken auszutreiben, würde ich nicht bewältigen, und ertragen könnte ich es auch nicht.
Wie sie das Brot schneidet. Er denkt an das Kind. Das Kind, mit dem er einige Male gespielt und viele Male gesprochen hat, ein kleines, robustes Mädchen. Pauline.
Man muss ihn ablenken, zum Sprechen bringen, eine angenehme Erinnerung wecken.
Ich will nicht an die Schwestern denken, ich will nicht.
Erzähl mir etwas, Henriette.
Erzähl mir etwas, Heinrich.
Schweigen. Die Stille im Raum, ein Knacken des Holzes, vielleicht, das brennt, im Kachelofen in der Ecke. Draußen, im übrigen Haus, Rumoren. Doch noch einige Gäste, oder der Wirt und seine Frau. Entferntes Klappern und Klirren, sicher in der Küche, zwei leise Stimmen. Wind ist zu hören, vom See her, Hundegebell.
Tick tack, der längste Tag in meinem Leben wird mein letzter sein.
Weißt du, wo ich den besten Käse meines Lebens gegessen habe?
Ich nehme an, bei mir? Henriette lacht freundlich.
Verzeih!, ruft er und lächelt sie bittend an; wäre nicht er es, es sähe aus wie Galanterie.
Nein, sagt Henriette, diesen brandenburgischen Hartkäse, den wir seit der Besatzung Tag um Tag essen müssen, den kannst du nicht meinen. Sag es mir.
In meiner Gefangenschaft, setzt Heinrich an und nimmt sich eine Scheibe Brot mit einem Stück Käse. Ich habe heute Nacht vom Fort de Joux geträumt, ich muss immer wieder daran denken, in den letzten Tagen, ich weiß auch nicht, warum, an meine Zeit dort, im Gefängnis. Es klingt verrückt, nicht wahr, aber es war eine gute Zeit in meinem Leben, eine Zeit, in der noch so vieles nicht entschieden war, in der ich mich wirklich frei gefühlt habe – obwohl ich doch in einer Zelle eingesperrt war! Und vor allem: Ich konnte dort schreiben!
Warum denke ich daran? Fünf Jahre ist es her. Fünf Jahre! Bringt nicht ein Glück die Erinnerung an ein anderes hervor? Oder denkt man im Unglück an vergangenes Glück? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich unglücklich bin oder glücklich, ob ich jetzt frei bin oder nicht, die Worte sind mir ganz entleert, Glück, Unglück – sie ekeln mich geradezu an – ich –
Heinrich versinkt mitten im Sprechen in sich selbst, in seine ihn quälenden Gedanken, seine Augen sind nach innen gerichtet, fern, fern ist sein Blick, er ringt mit den Händen, presst die Kinnladen zusammen, dass einer Angst und Bange werden könnte. Henriette aber sieht ihn an und wartet geduldig, er wird gleich wieder ansetzen, als wäre nichts gewesen, sie kennt das schon an ihm. Seine Gedanken kann sie leider nicht lesen, so gern sie es täte. Sie rückt ein wenig das Geschirr hin und her. Der Käse duftet, das Brot ist frisch, Henriette hat es am Morgen selbst gebacken. Es soll ein Fest werden, hat sie gedacht, es ist unser letztes Brot, und sie hatte es, als es fertig war und ausgekühlt, in ein gebügeltes weißes Leinentuch geschlagen.
Erzähl mir mehr davon, fordert Henriette ihn auf, als das Schweigen sich auszudehnen droht wie eine Gewitterfront, und bestreicht eine Scheibe Brot mit süßer Butter. Ganz alltäglich tun, denkt sie, das hilft am besten.
Bitte, fragt Heinrich, worüber sprachen wir gerade?
Das Fort de Joux, sagt Henriette, deine Gefangenschaft –
Ach ja, das
Fort de Joux
, – er dehnt den Namen – ich habe dir schon davon erzählt?
Henriette nickt, seufzt innerlich ein bisschen, über seine schreckliche Zerstreutheit, den halben Frühling hat er ihr davon erzählt, sie kaut mit zierlichem Mündchen, macht ein zustimmendes Geräusch, sie mag die Geschichten von Fort de Joux, besonders die von der schönen Berthe, aber sie mag sie auch, weil sie Heinrich friedlich stimmen. Seine inneren Abwesenheiten stören sie nicht; nur zu lange dürfen sie nicht dauern. Es wird ihn aufmuntern, denkt sie, er soll ruhig erzählen.
Es gab dort einen würzigen Käse aus dem Gebirge, fängt er an, aus Rohmilch gemacht, nach uralten
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