Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
bat sie, für ihn einzuspringen; im Gegenzug dazu wandte er sich wortreich an den Kommandanten, ihn um eine bessere Aufbewahrung für sich und seine Freunde bittend.
Das Fort de Joux, im elften Jahrhundert zum ersten Mal als Festung verzeichnet, hatte unter seinen wechselnden Herren in den folgenden Jahrhunderten beeindruckende Ausmaße angenommen. Die mächtigen und reichen Ritter von Joux zuerst, dann König Philipp der Gute, Karl der V. und diverse Nachfolger, alle hatten weitere Teilehinzubauen lassen. Ein riesiges Gemäuer war über die Jahrhunderte entstanden, aus ebenso riesigen grauen Steinen, mit weitläufigen Festungsmauern, in unüberwindlichen Ringen umeinander gesetzt, mit gewaltigen Zugbrücken und Wehrtürmen, finsteren Kerkern, großen Verliesen, klirrenden Vorhängeschlössern und einem schier unendlich tiefen Brunnenschacht. Zwölf Fuß stark waren die Mauern und winzig die Fensteröffnungen und so tief, dass keine Briefe oder Waffen von außen durch sie hineingelangen konnten. Der drohende Anblick der Kanonen hatte Heinrich mehrere Stunden beschäftigt; die Ahnung der Legenden und Geschichten, die in diesen Furcht einflößenden, abschreckend hohen Mauern wisperten und lebten, hatten seine Phantasie in einen Taumel versetzt.
Das Glück wohnt manchmal an einem überraschenden Ort.
Der Kommandant ist erstaunt. Sein neuer Gefangener, Heinrich von Kleist, zeigt sich munter und aufgeschlossen. Er verlangt nach einer französischen Grammatik und einem Wörterbuch, obwohl er die Sprache fließend beherrscht, und er fragt ihm Löcher in den Bauch, wer denn noch in diesem Fort eingesessen habe, und wie lange, wann es gebaut worden sei und von wem. Alles will er wissen. Der Kommandant, verwirrt, wie weit er sich auf ein solches Gespräch mit einem Gefangenen einlassen darf, lässt sich hinreißen. Er hat sonst nicht viel Unterhaltung, warum also nicht? Als Heinrich hört, dass der Marquis de Mirabeau für einige Zeit hier eingesperrtgewesen sei, damit sich sein Mütchen kühle, wie es der Kommandant süffisant bemerkt, zeigt er sich begeistert. Mirabeau? Der Jakobiner? Ein großer Redner! Ein toller Kopf! Wann war dies geschehen? Nun ist es aber genug für heute, brummt der Kommandant und salutiert.
La Cluse,
la Klühs
, tiefe Durchbrüche durch die Alpen, L’Ouverture,
Luwertür
, die Öffnung, der Durchbruch, der Wegbereiter … Bersten sprengen brechen, Kaskaden Katarakte Kasematten. Heinrich, der preußische Spion. Tut unschuldig, wie immer, sagt, es sei eine Verwechslung, ein Missverständnis, dabei hat er aufhetzende Gedichte geschrieben, wilde Oden gegen die Franzosen. Eigentlich liebt er ihre Sprache, ihre Kultur durchaus, schätzt Molière und Robespierre, der die Freiheit aller Menschen forderte, auch die der Schwarzen, auch die der Kolonien, bevor er zum Despoten wurde – aber das Besetztsein mag Heinrich nicht. Die Unterwerfung. Die Schmach. Die Unbeweglichkeit. Die Zensur.
So viele Kämpfer für die Freiheit an einem Ort.
Der Marquis de Mirabeau, der sich in einem hellsichtigen Augenblick dem Befehl des Königs widersetzte, die Ständeversammlung aufzuheben. Der einen Anlauf nahm, ein wenig nach Worten suchte, ansetzte, zögerte, Zeit gewann, und schließlich, von blitzartiger Einsicht befallen, sagte,
die Nation empfängt keine Befehle, die Nation erteilt sie!
Und
er
sei ein Vertreter der Nation, so hatte es der Marquis gesagt, der, selbst ein Adliger, den Aristokraten ihre Übermacht nehmen wollte, zugunsten des ganzen Volkes, aller Männer und Frauen. Mit seinenWorten wurde das Ende des Monarchen besiegelt. Und dann Toussaint L’Ouverture. Der Anführer des Aufstands der Sklaven auf Haiti, auch San Domingo genannt, Saint Domingue, der reichsten Kolonie Frankreichs. Er hatte Robespierre beim Wort genommen, der in der Nationalversammlung gefordert hatte, dass ALLE Menschen frei sein sollten, wirklich ALLE, und er wollte eine freie Insel für freie Bürger, schwarze wie weiße, er hatte die Revolution der
Negersklaven
ins Leben gerufen, mit dem Ruf der Landessprache
vivre libres ou mourir!
2 Er hatte sie zum Sieg geführt,
frei leben oder sterben!
, die spanische Hälfte der Insel erobert, Franzosen und Engländer in die Flucht geschlagen und die Sklaven befreit, er hatte Landreformen eingeführt und die freien Sklaven zur freien Arbeit gescheucht, um die Schätze der Insel für alle nutzbar zu machen. Reichtum für alle! Er hatte sich Napoleon widersetzt, was
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