Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
für ein Mann! Die Perle der Karibik, Zucker und Kaffee … Was für Umstürze! Die Welt aus den Fugen, auf den Kopf gestellt!
Heinrich versucht, sich an das Gedicht von William Wordsworth zu erinnern,
Toussaint, unglücklichster der unglücklichen Männer
… dem man die Freiheit stahl … im tiefen tauben Kerker … Was für ein Name,
tous saints
, murmelt Heinrich, Alle Heiligen, Allerheiligen, und
l’ouverture
, die Öffnung, der Beginn, was sollte das bedeuten?
O miserable Chieftain! … armseliger Anführer … Thou hast left behind / Powers that will work for thee; air, earth, and skies; / du hast Kräfte hinterlassen / sie arbeiten für dich, Lüfte Erde Himmel, / There’s not a
breathing of the common wind / That will forget thee; wie hieß es gleich, kein Hauch des Windes, der dich vergißt, thou hast great allies; / Thy friends are exultations, agonies, / And love, and man’s unconquerable mind. Du hast große Verbündete, deine Freunde sind Jubel, Agonie und Liebe, / Und des Menschen unbezwingbarer Geist.
Napoleon schickte Truppen, dreißigtausend Mann, und seinen eigenen Schwager; er brauchte den Zucker und den Kaffee; er holte sich die Insel zurück. Toussaint verlor, doch das Feuer war gelegt: Haiti probte den Aufstand, erneut, verjagte die Besatzer und rief im Januar 1804 die Unabhängigkeit aus. Die erste schwarze Republik.
Ayiti libre.
Unglaublich!
Des Menschen unbezwingbarer Geist –
In denselben Mauern wie Toussaint sitzt Heinrich nun, wenn auch nicht in dessen Zelle. Doch er spürt seinen Geist, er hört ihn nachts flüstern. Er legt das Ohr an die Mauern … Unabhängigkeit … flüstern sie … auch für Preußen!
Sein erstes Verlies ist eng und feucht, doch das zweite ist ein größeres Gewölbe mit einem Kamin, mit Bett, Tisch und Stuhl, in dem er sich frei bewegen kann. Es ist verteufelt kalt in dieser Festung. Aber Heinrich spürt nichts davon, er springt beim Schreiben immer wieder auf und rennt hin und her; es ist, als strömten ihm tausend Geschichten auf einmal zu; in seiner Vorstellung erheben sich deutlich Gestalten, in ihren Gesten, ihren Reden, ihren inneren Konflikten. Unerschöpflich scheint ihm seine erhitzte Phantasie, noch während er an seinemDrama über die Amazonenkönigin schreibt, drängt sich in seinem Kopf schon neues Material. Eine köstliche Flüssigkeit kommt ihm zu Hilfe, befeuert ihn noch mehr –
La Fée verte, die grüne Fee,
der Absinth. Ein starkes Getränk. Destilliert aus Wermut, Fenchel und Anis. Grün eingefärbt von heilenden Kräutern, Melisse, Ysop, Zitronenmelisse. Kräuter, die hier an den Hängen wachsen.
Und wie hat er ihn bekommen, den Absinth?
Schon nach wenigen Tagen hat Heinrich das Interesse des Kommandanten geweckt; ein intelligenter Mann, der sich langweilt, in der Provinz. Er besucht seinen gefangenen Dichter in seiner Zelle. Der scheint nach wie vor vergnügt zu sein, fragt nach Papier und einem weiteren Bleistift. Er werde sich darum kümmern, sagt der Kommandant, ein Augenblick der Verlegenheit, Stille. Heinrich will weiterarbeiten, der Kommandant soll gehen, der Kommandant aber rührt sich nicht von der Stelle. Ein stattlicher, wohlgenährter Mann mit einer sinnlichen Nase. Man hört leise fiepend die Mäuse, ein unerklärliches Kratzen an den Mauern, in einiger Entfernung die dunklen Stimmen der Wachen. Mit einer abrupten Geste zieht der Kommandant eine kleine Flasche aus dem Innenfutteral seiner Jacke, springt fast auf den Tisch zu, auf dem vollgekritzelte Blätter liegen, stellt sie dort ab. Heinrich sieht ihn überrascht an. Das ist Absinth, sagt der Kommandant, sie produzieren ihn hier schon lange, aber seit Neustem haben wir eine richtigeFabrik, eine Destillerie, in Pontarlier. Ah, macht Heinrich erfreut, Schnaps! Eine Art
Schnaps
, sagt der Kommandant, er lässt sich das deutsche Wort auf der Zunge zergehen. Heinrich möchte sofort einen kräftigen Zug aus der Flasche nehmen. Nur zu, sagt der Kommandant, trinken Sie! Trinken Sie auf unser Land, wenn Sie wollen, auf die Vorzüge der französischen Gefangenschaft! Der Kommandant lacht zynisch, oh pardon, sagt er im nächsten Moment, denn er sieht in Heinrichs entsetztes, wütendes Gesicht, so war das nicht gemeint, nein, nein, ich wollte Ihnen eine Freude machen. Soll ich vielleicht auf die Freiheit trinken, Monsieur? fragt Heinrich, nun ebenfalls sarkastisch, oder auf
Napoléon
, der mein Heimatland Meile um
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