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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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auch auf dem Tisch. Nun gut. Er kniet vor dem Ofen, stochert in der Glut, legt Holz nach, wartet kurz, ob Flammen hochschlagen, und schielt aus dem Augenwinkel zu dem Pärchen hin. Er sieht nur die Füße unter dem Tisch, genau genommen Socken, ohne Stiefel, und zierliche Stiefelchen unter einem langen Rock. Er macht die Klappe zu, richtet sich auf und nickt mit dem Kopf zur Seite, ob er auch bei der Dame dürfe –
    Die Dame nickt, der Herr sagt, jaja, mache er, und dann redet der Herr, Heinrich, wie ein Wasserfall auf die Dame, Henriette, ein, die lauscht und lacht, während Johann Riebisch auch in ihrem Zimmer nach dem Ofen sieht. Er bringt alles in Gang, wundert sich, was ein Herr einer Dame alles zu erzählen hat, tritt etwas verlegen zurück in Heinrichs Zimmer und kündigt das Abendessen an. Er möge doch ausrichten, dass sie auch eine Flasche Roten des Hauses wünschten, oder besser gleich zwei, bittet Heinrich munter und wendet sich gleich wieder Henriette zu und erzählt. Er erzählt mit Händen und Füßen von der Weite der Berge des Jura, von den wunderbaren, endlos scheinenden Wochen im Fort de Joux, er macht den Kommandanten nach und spielt die Haltung des schwarzen Mannes vor, und es strömt nur so aus ihm heraus, denn es wird ja das letzte Mal sein in seinem Leben, das er sich an diese Zeit erinnern kann, das könne sie doch sicher verstehen, dass er sich das noch einmal vor Augen führen möchte, und ihr, und natürlichlacht Henriette und nickt, was sollte sie auch anderes tun. Sie ist ja glücklich, dass er mit ihr spricht.
    Johann Riebisch kann die Stimme des Gastes noch im Gang hören und bis zum Absatz der Treppe und noch ein bisschen hinunter und er schüttelt noch einmal verwundert den Kopf.
     
    Gleich am nächsten Tag hält Heinrich auf dem Wall Ausschau nach dem dunkelhäutigen Mann. Der wartet schon, sieht verstohlen zu ihm hin. Es gibt sonst niemanden hier, der ein Interesse an ihm hätte. Fünf Jahre lebt er schon hier, in unbeschreiblicher Einsamkeit, im Wechsel der Kältegrade von Winter, Frühling und Herbst, und nur die brennende Gebirgssonne des Sommers bringt ihm ein wenig Erleichterung, die Erinnerung an die sehr viel heißere Sonne in seinem Land, das er vermisst. Jedes Stückchen Zucker hortet er, um sich an die Süße der Früchte dort zu erinnern, sein Körper leidet unter dem Entzug des gewohnten Klimas, und seine Seele am Alleinsein, ohne Ansprache, ohne Gespräch. Und nun dieser sonderbare Mann, von dem sich in Windeseile herumgesprochen hat, dass er ein deutscher Dichter sei, Henri de Kleist.
    Heinrich fragt ihn nach seinem Namen, den Umständen seiner Anwesenheit, und der Mann, zunächst verlegen, auch nicht gewohnt zu sprechen, dann von Heinrichs kindlich fragenden Augen versichert, antwortet mit leiser Stimme. Er ist so ausgehungert nach einem andern, dass er Stolz und Misstrauen vergisst.
    Er heiße Émile, Émile Liberté. Er sei geboren in Port-au-Prince, der Hauptstadt von Sen Domeng, der Sohneines Sklaven und einer Sklavin sei er. Er sei im Gefolge von – er senkt die Stimme, unaussprechlicher Name an diesem Ort   – Toussaint l’Ouverture hierhergekommen. Toussaint l’Ouverture habe die Kälte nicht ertragen, und die Demütigung, fern von seinem Land eingesperrt zu sein, überhaupt, das Eingesperrtsein sei für ihn, den einstigen Sklaven, der so viel erreicht hat, eine Tortur gewesen, eine unendliche unermessliche entsetzliche Tortur. Stolz habe er sie ertragen, erhobenen Hauptes, nur für seine alte Mutter habe er um Gnade gebeten, bei Napoléon:
Eine alte Frau kann doch nichts dafür, Bürger Konsul Bonaparte!
Noch weitere Männer aus Sen Domeng seien im Fort de Joux gefangen gehalten worden, die Kinas zum Beispiel, Vater und Sohn, Zamor Kina und Jean Kina, Revolutionäre im Gefolge Toussaints, und auch seine ärgsten Feinde, André Rigaud und Martial Besse, Mulatten, Söhne von reichen Weißen und armen schwarzen Sklavinnen, Rebellen auch sie, die zuerst mit Toussaint kämpften, rachsüchtig gegen die Weißen; doch gierig nach Macht, wie sie waren, dann gegen ihn konspirierten. Rigaud und Besse flohen nach Frankreich, Napoleon nahm sie fest, um sie für sich einzuspannen, im Krieg der Messer, im Kampf der Schwarzen gegen die Mulatten. Ein trauriges Spektakel!
    Rigaud? Besse? Kina? Von diesen Männern hat Heinrich nichts gehört, er will es genauer wissen, er muss sich zwingen, zu etwas Geduld.
    Sie wurden gegen Toussaint eingesetzt, sagt Émile, die

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