Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Meile verwüstet?
Verflucht, sagt der Kommandant, ich verabschiede mich.
Er zieht sich zurück, die schwere Tür fällt ins Schloss, Heinrich hört aufgeregtes Sprechen, sich entfernende Schritte. Er wartet eine Weile, steht unentschlossen in der Zelle, macht schließlich einen Satz und nimmt die Flasche.
Schade um den Schnaps, sagt er und zieht den Korken aus dem Hals. Ein intensiver Geruch nach Alkohol, Anis und etwas, das er nicht kennt, strömt ihm in die Nase, scharf ist es, würzig, verlockend. Er schnüffelt. Er riecht. Er zieht das Aroma ein. Als wäre der Duft der Tannen, die hier auf dem Berg wachsen, mit vergoren worden. Wieder atmet er den Geruch ein. Er setzt die Flasche an, schräg, bis ein erster Tropfen seine Zunge benetzt – nur so viel – er schmeckt – schließt die Augen – setzt erneut an und trinkt gierig, lustvoll, eins, zwei, drei, beivier hält er inne, bloß nicht alles auf einmal saufen, warten, einteilen, die Wirkung abwarten, köstlich ist es, der Schnaps brennt die Kehle hinunter, schießt in den Magen, läuft in alle Glieder, den Kopf, brennt, heizt ein, macht atemlos, großartig, ein
wunderbarer
Schnaps, ein Destillat der ganzen wilden verwegenen Gegend, in die er hier geraten ist. Heinrich lässt sich auf den Stuhl fallen. Die Wärme breitet sich in ihm aus, erst brennend, dann wohlig. Er streckt sich aus. Er setzt den Korken auf die Flasche. Stellt sie auf den Tisch. Ein schönes Geschenk des Kommandanten. Womit hat er das verdient? Morgen wird er ihn fragen, wie der schlaue Mann heißt, der nun eine große Fabrik hat, um dieses Gesöff herzustellen. Er beugt sich über das Papier, nimmt den Bleistiftstummel und arbeitet weiter. Mühelos kommen die Worte jetzt, er muss die Kälte nicht mehr fortdenken, braucht keine Kraft auf sie zu verwenden, alles geht in die Hand, die über das Papier rast, die Worte brennen auch, laufen, strömen wie die Cluse im Frühling strömen wird, wenn das Schmelzwasser herunterpoltern und den Fluss füllen wird, rasende Katarakte, wie seine Sätze jetzt, wie die Handlung, er sieht hört fühlt Penthesilea, die Königin der Amazonen, stolz auf ihrem Pferd über das Schlachtfeld galoppieren, mit wehendem Haar, graziös, elegant, entschlossen zugleich, eine wütende Anmut, voll Verlangen, und erfüllt von einer ungekannten Lust, sich den Geliebten zu unterwerfen, Achill.
Während wir Heinrich in seine Erinnerungen hinein begleiten, bereitet die Köchin im Gasthof Stimming am Wannsee für die Gäste das Abendessen vor. Nein, es gibtkein gebratenes Huhn, nicht für Heinrich und Henriette, sie haben etwas Einfaches bestellt. Das Huhn ist für zwei französische Offiziere, die im Schankraum Bier trinken und laut reden und lachen. Die Kartoffeln kochen auf dem Herd, und die Köchin wird gleich etwas schnaufen, wenn sie den schweren Topf herunterhebt, um das Wasser über dem Spülstein abzugießen. Sie packt das Huhn auf eine große Platte und wischt sich die fettigen Hände an ihrer Schürze ab. Der Gastwirt Johann Stimming hat seiner Frau Friederike gesagt, dass die Herrschaften aus Berlin das Essen auf ihren Zimmern einnehmen möchten und dass sie keine Eile damit hätten, und Frau Stimming hat es der Köchin und dem Dienstmädchen gesagt. Sie hat dabei die Bemerkung fallen gelassen, dass sie das Ziehen in den Gliedern spüre, dass also das Wetter sich bald ändern würde. Dann hat sie den Tagelöhner Johann Riebisch beauftragt, noch einige Bouteillen Roten aus dem Keller zu holen und hinaufzugehen zu den Berliner Leuten und noch einmal nach dem Ofen zu sehen. Ob er auch ordentlich heize. Es könne kalt werden in der Nacht, sie fühle es in ihren Knochen.
Nach einer knappen Woche des Aufenthalts erhält Heinrich, zusammen mit seinen Freunden, die Erlaubnis, seine Zelle zu verlassen und auf dem Festungswall ein wenig frische Luft zu schnappen. Die Bewegung wärmt ihn, sie macht ihm Freude, weil er seinen Leib lebendig fühlt, doch der Wind, der im Jura beißend sein kann, pfeift und heult, sein Gesicht ist bald wie eingefroren und Tränen von der Kälte laufen über seine Wangen, sodass er es vorzieht, wieder hineinzugehen und sich mitder Feder über das Papier zu beugen und sich in das heiße, staubige Griechenland wegzudenken, um seine Heldin in die wichtigste Schlacht ihres Lebens zu führen, verheißungsvoll und verhängnisvoll zugleich, zerrissen zwischen Liebe und Macht. So wie er sich hin und her gerissen fühlt zwischen seiner großen
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