Wir sind die Nacht
ist doch nicht …?«
»Von Nora?« Louise schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, Schreiber-Pharmaceutics, A Rhesus negativ.« Sie verzog die Lippen. »Schmeckt allerdings eher nach Rhesusaffe, wenn du mich fragst. Ich muss wohl mal mit meinem Lieferanten reden. Bei dem Vermögen, das er mir für das Zeug abnimmt, sollte man eigentlich ein Mindestmaß an Qualität erwarten.«
»Ich wusste nicht, dass wir so oft trinken müssen«, sagte Lena unbehaglich.
»Wie oft hast du denn früher gegessen?«, erkundigte sich Charlotte, die in diesem Moment aus dem Bad kam. Statt des dünnen Unterhemds trug sie nun ein einfaches schwarzes Kleid. An jeder anderen hätte es unscheinbar gewirkt, aber sie verwandelte es in eine Figur aus einem Greta-Garbo-Film. »Einmal die Woche?«
»Nein«, antwortete Lena, »aber …«
»Und warum sollte das jetzt anders sein?«
»Und wenn gerade keine Blutkonserve zur Hand ist?« Warum hatte Lena das Gefühl, dass sie diese Frage besser nicht gestellt hätte?
»Oh, wir halten schon eine Weile durch«, sagte Louise. »Und zur Not findet sich immer die eine oder andere Ratte.«
»Egal, ob sie vier oder zwei Beine hat«, fügte Charlotte hinzu.
Louise schenkte ihr einen strafenden Blick. Charlotte ignorierte das und ging zum Bücherregal, wo sie sich wortlos ein Buch nahm und aufschlug. Lena spürte, dass es zwischen den beiden schon wieder knisterte.
»Wo ist Nora überhaupt?«, fragte Lena, um das Thema zu wechseln.
»In der Sauna«, antwortete Louise. »Hilft gegen Kopfschmerzen, sagt sie … auch wenn ich eher glaube, dass dort die Chance größer ist, diesen schnuckeligen Pagen zu treffen, der ein Auge auf sie geworfen hat.«
Lena erinnerte sich an den jungen Burschen. »Und du bist gar nicht eifersüchtig?«
»Eifersüchtig?« Louise klang nicht so, als könnte sie mit diesem Wort etwas anfangen. Sie wandte sich an Charlotte. »Sind wir eifersüchtig, wenn unser Küken ein bisschen Spaß hat?«
»Total«, antwortete Charlotte. Sie blätterte mit einem Rascheln um, und Lena fragte sich, was eigentlich älter war - sie oder der schwere goldgeprägte Band, in dem sie las.
»Eifersucht ist was für Männer, Lena«, sagte Louise. »Sterbliche Männer. Aber das wirst du auch noch lernen. Es gibt Dinge, die machen einfach zu viel Spaß, als dass man eifersüchtig darauf sein kann.«
In ihrem Blick erschien etwas, von dem sich Lena einzureden versuchte, dass es ihr nicht gefiel. Genauso vergeblich versuchte sie, die Augen vor Louises Schönheit zu verschließen. Und vor der Tatsache, wie sehr sie ihr gefiel.
»Ich komme mir vor, als wäre ich wieder in der Schule«, seufzte sie. »Muss ich denn alles neu lernen?«
»Und noch sehr viel mehr neu entdecken, was du dir nie erträumt hättest. Und das eine oder andere wirst du wohl auch vergessen müssen, fürchte ich.« Louise legte den Kopf schräg. »Was, glaubst du, wird dir am meisten fehlen?«
Lena musste tatsächlich überlegen, so absurd es ihr selbst vorkam. »Das Meer«, sagte sie dann beinahe willkürlich. »Urlaub am Strand. Die Sonne.«
Louise nickte, als hätte sie genau diese Antwort erwartet. »Wenn das alles ist. Hast du Lust, schwimmen zu gehen, Charlotte?«
»Wozu habe ich mich dann gerade eine geschlagene Stunde lang geschminkt?«, beschwerte sich Charlotte.
»Damit du es in einer Stunde noch einmal tun kannst«, antwortete Louise. »Also los! Auf in die Karibik!«
Charlotte verdrehte die Augen, klappte das Buch zu und trug es zum Regal zurück.
»Karibik?«, sagte Lena.
»Oder irgendeine andere tropische Insel.« Louise kam um die Bar herum, betrachtete sie prüfend und steuerte dann die Schlafzimmertür an. »Ich hole dir einen von Noras Bikinis. Sie hat bestimmt nichts dagegen.«
»Und vielleicht ein Kleid«, fügte Charlotte hinzu. Lena trug einen Bademantel vom Hotel. Den verbrannten Fetzen, in dem sie am Morgen hier angekommen war, hatte irgendjemand entsorgt. »Oder gib ihr lieber eins von mir. Ein Papagei in unserer Vorzeigefamilie reicht vollkommen aus.«
»Karibik?«, sagte Lena noch einmal.
»Lass dich überraschen«, sagte Charlotte. »Bis Sonnenaufgang sind wir wieder zurück.«
»Aus der Karibik?« Die beiden nahmen sie auf den Arm!
»Wir lassen Nora ans Steuer«, sagte Charlotte todernst. »Du weißt doch, wie schnell sie fährt.«
Ja, das war komisch.
Und es war auch das Letzte, was sie für die nächsten Minuten von ihr hörte. Charlotte wich ihrem Blick aus, bis Louise zurückkam, jetzt
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