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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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Nora einfach nur verblüfft, aber dann wurden ihr Blick und ihre Züge weich, und ein sehr sonderbares Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Eine Sekunde später wurde ihr Blick wieder umso härter. Mit versteinerter Miene nahm sie die Rose entgegen, brach den Stiel in mehrere Teile und zerquetschte dann die Blüte in der Faust.
    »Das gehört mir nicht«, sagte sie kalt. »Und wenn du mich noch mal so anmachst, Kleiner, dann rede ich mit deinem Chef und sorge dafür, dass du gefeuert wirst.«
    Der junge Page starrte sie entsetzt an und öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, fuhr dann aber auf den Absatz herum, um davonzustürmen.
    »Das war wirklich nicht nett«, sagte Lena.
    »Nein, war es nicht.« Nora ließ die zerquetschte Blüte fallen und schlug die Handflächen aneinander, um sie zu säubern. Sie hatte sich an einem Dorn verletzt, und ein einzelner Blutstropfen
quoll aus ihrem Daumen. Sie leckte ihn ab. »Aber jetzt hört er vielleicht endlich damit auf, mir wie einer rolligen Katze nachzustellen.«
    Lena war ein bisschen verwirrt. »Aber ich dachte, du … findest ihn nett.«
    »Sieht man mir das so deutlich an?«
    Lena nickte.
    »Du hast recht«, sagte Nora. »Er ist nett. Vielleicht ein bisschen jung für eine Frau meines fortgeschrittenen Alters, aber irgendwie süß.«
    »Und das sagst ausgerechnet du?«
    »Wegen meinem Rumgevögle, hm?« Nora zog eine Grimasse. »Ich verstehe. Du denkst, jemand wie ich könnte sich unmöglich verknallen!«
    Aber hatte Charlotte nicht behauptet, Nora wäre in sie, Lena, verliebt? »Es passt irgendwie nicht zu dir.«
    »Aber es kribbelt so schön im Bauch … und woanders auch! Ich riech seinen Duft bis hier, Lena! Er macht mich wahnsinnig!«
    »Und warum behandelst du ihn dann so mies?«
    »Ich will ihm nicht wehtun«, antwortete Nora.
    »Das hast du aber gerade getan.«
    Nora schüttelte heftig den Kopf. »Ich meine, richtig wehtun … vielleicht gerade, weil er so süß ist.« Sie zuckte die Achseln, drehte sich auf dem Absatz herum und drückte die Türklinke herunter. »Ich will nicht, dass ihm was passiert, verstehst du? Menschen gehen so leicht kaputt.«
    Sie betraten das Parkhaus, und Lena sah sich nach den beiden anderen um. Sie konnte sie nicht entdecken, doch als sie sich mit einem fragenden Blick an Nora wenden wollte, sah sie gerade noch das Heck des alten Jaguars in der Auffahrt verschwinden.
    »Wir fahren hinterher«, erklärte Nora fröhlich. »Mein Porsche
ist im Moment leider ein bisschen angeschlagen, wie du ja weißt. Macht es dir was aus, mich mitzunehmen?«
    Lena blinzelte verwirrt. Sie starrte den Autoschlüssel an und dann wieder Nora und verstand nun gar nichts mehr.
    »Ich habe dir doch versprochen, dass ich mich um einen Wagen für dich kümmere«, sagte Nora. »Und was ich verspreche, das halte ich auch … na ja, meistens.« Sie wedelte auffordernd mit dem Schlüssel und deutete mit dem Kopf auf den weißen Ferrari, für den sich Louise zuvor so interessiert hatte.
    »Ist ein weiter Weg bis in die Tropen«, feixte Nora. »Da braucht man einen schnellen Wagen.«
    Lena starrte den weißen Ferrari an.
    »Was ist?«, sagte Nora. Ihre Stimme troff vor Schadenfreude. »Nimmst du mich mit, oder muss ich mir ein Taxi rufen?«
    »Das … das Ding … kann ich nicht fahren«, stammelte Lena.
    »Und ob. Ist ein Automatik, und die Adresse ist schon im Navi eingegeben. Der fährt fast von selbst.«
    »Ich habe nicht einmal einen Führerschein!«
    »Aber du kannst doch fahren?«
    »Schon, aber keinen Ferrari mit dreihundert PS!«
    »Vierhundertfünfzig«, verbesserte sie Nora und schüttelte heftig den Kopf. »Du begreifst es immer noch nicht, was? Deine Reflexe sind jetzt zehnmal so schnell wie vor einer Woche. Ich wette mit dir, dass du es nach zwei Kilometern draufhast.«
    »Und wenn ich einen Unfall baue?«
    Nora grinste. »Dann klauen wir uns einen neuen.«

18
    Nora hätte ihre Wette verloren. Sie benötigte weit mehr als zwei Kilometer, bis sie ein Gefühl für den schnittigen Sportwagen hatte, aber dann war es so, wie Nora behauptet hatte: Ihre Reflexe kompensierten das, was ihr an Fahrerfahrung fehlte. Der Wagen schien fast zu einem Teil ihres Körpers zu werden, den sie so selbstverständlich beherrschte wie das Luftholen oder das Gehen. Es war, als ahnte sie die Reaktionen der anderen Verkehrsteilnehmer auf fast magische Weise voraus.
    Sie benötigten nur wenige Minuten, um Louises Jaguar einzuholen, und Lena war regelrecht

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