Wir sind die Nacht
entschuldigte sie sich. »Knapp fünfzehntausend. Du kannst noch mehr haben, aber dann musst du bis morgen warten.«
»Fünfzehntausend?« Lena ächzte. »Aber das ist …«
»Erst einmal genug, um aus der Stadt zu verschwinden und irgendwo anders neu anzufangen«, unterbrach Louise sie. Sie wedelte mit dem Umschlag, aber Lena war immer noch viel zu perplex, um danach zu greifen.
»Später kannst du ihr ja mehr schicken«, fuhr Louise fort. »Vielleicht eröffnet sie ja irgendwo ein eigenes Nagelstudio … was sie aber wirklich in einer anderen Stadt tun sollte. Nicht dass euer Freund, dieser nette Bewährungshelfer, noch auf dumme Gedanken kommt und sie fragt, woher sie das Startkapital hat.«
»Gibt es irgendetwas, was du nicht über mich weißt?«, fragte Lena misstrauisch.
»Viel zu viel«, antwortete Louise. »Aber ich hoffe, dass sich das bald ändert.«
Lena sagte nichts dazu, sondern griff nun doch nach dem Umschlag.
»Soll Nora dich begleiten?«, fragte Louise.
»Ich gehe lieber allein. Und es … könnte eine Weile dauern.«
»Wie du meinst.« Louise seufzte. »Aber pass auf, dass du vor Sonnenaufgang wieder hier bist. Oder im Hotel.«
»Wenn nicht, übernachte ich im Keller«, sagte Lena. »Da kenne ich mich ja aus.«
21
Pünktlich um Mitternacht, als der Club seine Tore geöffnet hatte, hatte es zu regnen begonnen, ein feines Nieseln, nicht stark, aber anhaltend und hartnäckig genug, um den Parkplatz in einen einzigen großen Morast zu verwandeln, der im Mondlicht wie ein riesiger, flacher See aussah, aus dem die kreuz und quer abgestellten Wagen wie bizarre lackierte Klippen herausragten. Es war kalt. Die meisten Gäste, die noch immer geduldig in einer langen Schlange unter ihren aufgespannten Regenschirmen warteten, hatten die Kragen hochgeschlagen und versuchten sich warm zu bibbern. Lena beobachtete amüsiert, wie ein junges Pärchen in Zwanzigerjahre-Klamotten geduckt durch die Regenschleier zu seinem Wagen zurückrannte, wobei Wasser und Matsch aufspritzten und ihre - vermutlich geliehenen - Kleider endgültig ruinierten, sah dann aber auch missmutig zum Himmel auf und fragte sich, wie sie jetzt eigentlich zu ihrem Wagen kommen sollte, ohne dasselbe Schicksal zu erleiden. Ihr zerkratzter Ferrari stand auf der Rückseite des großen Gebäudes, genau wie Louises Jaguar, und bis sie dort war, wäre sie garantiert bis auf die Haut durchnässt.
Neben ihr erscholl ein dumpfer, klackender Laut, und jemand, dessen Stimme ihr bekannt vorkam, fragte: »Darf ich der gnädigen Frau meinen Schirm anbieten, um sie durch den Regen zu geleiten?« Lena drehte sich erschrocken auf dem Absatz
herum, und Tom fuhr mit einem schon fast unverschämt breiten Grinsen fort: »Und vielleicht auch noch meinen Arm?«
»Tom?«, murmelte Lena verstört. »Was … machst du denn hier?«
»Im Moment versuche ich dir meine Gesellschaft aufzunötigen, indem ich dir meinen Schirm anbiete«, antwortete er fröhlich. »Nicht dass es nicht nur ein Vorwand wäre, aber du solltest es trotzdem annehmen. Wäre doch schade um dein schönes Kleid und die tolle Frisur.«
Lena war viel zu perplex, um irgendetwas anderes zu tun, als ganz automatisch unter den Schirm zu treten, den der junge Polizist wohl tatsächlich nur für sie aufgespannt hatte. Seine zerschrammte Lederjacke und sein Gesicht glänzten vor Nässe, und sein Haar hing ihm in klebrigen dunklen Strähnen in die Stirn; was ihn auf eigentümliche Weise aber fast noch attraktiver machte.
»Wartest du auf ein Taxi, oder soll ich dich irgendwohin mitnehmen?«, fragte Tom, nachdem sie ihn einige weitere Augenblicke lang verständnislos angestarrt hatte. Was tat er hier? Das konnte doch unmöglich ein Zufall sein!
»Ich … mein Wagen steht auf der Rückseite«, antwortete sie unbeholfen und verfluchte sich im gleichen Moment auch schon, als sie sein überraschtes Stirnrunzeln registrierte.
»Dein Wagen?«
»Also nicht wirklich mein Wagen«, sagte sie hastig. »Er ist nur geliehen.«
»Geliehen.« Tom trat einen halben Schritt zurück und maß sie mit einem anerkennenden Blick von Kopf bis Fuß, als würde er das teure Designer-Kleid, das sie trug, erst jetzt bemerken. »Scheint sich ja wirklich zu lohnen, wenn man hier arbeitet«, sagte er. »Erst ein paar Tage, und schon einen Dienstwagen. Mein Chef ist nicht annähernd so großzügig.«
»Arbeiten?«, sagte Lena.
»He, ich bin Bulle«, feixte Tom. »Ich weiß alles.«
Anscheinend nicht, aber das sollte ihr
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