Wir sind die Nacht
aber nur noch undurchdringlicher zu werden schien. Ihr Verstand versuchte ihr klarzumachen, dass sie sich in ebenso große wie unnötige Gefahr begab. Mit ihren Nachtsichtgeräten waren es plötzlich die Russen, die ihr überlegen waren. Solange sie sich nicht durch ein unvorsichtiges Geräusch verrieten, brauchten sie nur abzuwarten, bis sie so dumm war, sich selbst in eine Position zu begeben, in der sie sie in aller Ruhe abschießen konnten.
Sie schlich trotzdem weiter, und wäre der Schatten, der plötzlich wie aus dem Nichts neben ihr auftauchte, tatsächlich einer von Antons Männern gewesen, dann wäre es wohl um sie geschehen gewesen.
Es war Louise. Ihr Kleid hing in Fetzen, und unter all dem Blut auf ihrem Gesicht war etwas Insektenhaftes, was Lena zutiefst erschreckte. Mit einer hastigen Geste bedeutete Louise ihr, still zu sein und sich in die Hocke sinken zu lassen, tat zugleich dasselbe und zeigte dann nach links. Etwas bewegte sich dort, aber Lena erkannte nicht einmal einen Schatten, sondern nur eine Bewegung.
Louises Sinne mussten wohl noch um einiges schärfer sein als ihre, denn sie huschte lautlos auf den Schatten zu. Mit einem einzigen Ruck riss Louise dem Mann die Nachtsichtmaske herunter und brach ihm kurzerhand die Hand, in der er die Lampe hielt. Der Russe brüllte vor Schmerz auf und sackte in Louises Armen zusammen, doch statt ihm die Zähne in den Hals zu schlagen, wirbelte sie ihn herum, rammte ihm die Stirn ins Gesicht und stieß ihn mit beiden Händen zurück in Charlottes Arme, die hinter ihm aufgetaucht war.
Wieso konnte sie das alles überhaupt sehen?
Lena blinzelte in die Runde und registrierte erst jetzt, dass es nicht mehr dunkel war. Jemand hatte offenbar beschlossen, die Chancen wieder etwas ausgeglichener zu gestalten. Falls sie es jemals gewesen waren, Hightech-Waffen hin oder her.
Louise war plötzlich verschwunden, vielleicht schon wieder auf der Suche nach weiterer Beute, und Charlotte schleuderte den Russen mit knochenbrechender Wucht zu Boden und trat ihm dann mit aller Gewalt zwischen die Beine.
Falls er das überlebte, so verlor er immerhin auf der Stelle das Bewusstsein, denn er versuchte nicht einmal mehr, sich zu wehren, als Charlotte sich auf ihn warf und ihre Zähne in seinen Hals schlug. Und auf einmal war auch Nora da und fiel auf seiner anderen Seite auf die Knie. Auch sie entriss ihm den kostbaren Lebenssaft.
Es war das Entsetzlichste, was Lena jemals gesehen hatte.
Wenigstens so lange, bis Nora sich aufrichtete, Charlottes Gesicht zu sich heranzog und sie lange und leidenschaftlich küsste.
Ein dünner hellblauer Lichtstrahl griff auf einmal nach ihnen, zog eine lodernde Spur über Charlottes Rücken und streifte auch noch Noras Gesicht, erlosch dann aber wieder, noch während die beiden schreiend zusammenbrachen.
Statt seinen Vorteil zu nutzen und seine heimtückische Waffe noch einmal einzusetzen, sprang der Angreifer mit einem kraftvollen Satz vom Beckenrand herab, landete genau zwischen den beiden Frauen und schmetterte Charlotte das Knie ins Gesicht, was sie vollends nach hinten stürzen ließ. Nora versuchte, ungeachtet der Tatsache, dass ihre Haare in Flammen standen, seine Beine zu umklammern, und Anton schmetterte ihr den Lauf seiner Waffe mit solcher Gewalt ins Gesicht, dass sie benommen auf die Seite fiel. Dann schleuderte er die Pistole achtlos weg, beugte sich zu Charlotte hinab und riss sie mit beiden Händen in die Höhe.
Sein Mund klappte weit auf, so unmöglich weit wie das Maul einer angreifenden Schlange, die eine Beute verschlingen wollte, die größer als sie selbst war. Dolchspitze Zähne schoben sich wie die Krallen einer Katze zentimeterweit aus seinem Kiefer und schnappten nach Charlottes Kehle.
Lena sprang ihn mit einem verzweifelten Satz an, doch obwohl sie all ihre neu gewonnene übermenschliche Kraft einsetzte, gelang es ihr nicht, ihn von den Beinen zu reißen. Er ließ sein wehrloses Opfer nicht einmal los, aber wenigstens verfehlten seine schnappenden Kiefer ihr Ziel. Praktisch gleichzeitig stieß er den Ellbogen mit solcher Gewalt in Lenas Magen, dass sie gegen die drei Meter entfernte Wand des Schwimmbeckens geschleudert wurde.
Irgendetwas in ihrem Körper war zerbrochen. Sie konnte nicht atmen, und alle Kraft wich ihr aus den Beinen. Hilflos sackte sie an der Wand zusammen und brauchte all ihre Willenskraft, um nicht das Bewusstsein zu verlieren. Da war etwas tief in ihr drinnen, das erwachen wollte, eine
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