Wir sind die Nacht
Lena sich nach hinten fallen ließ, und aus einem Reflex heraus nach seinem Knie trat. Sie traf so unglaublich hart, dass sie sein Metallskelett knacken hörte, und doch wankte der Koloss nur leicht.
Immerhin reichte die Erschütterung, um den tödlichen blauen Blitz aus seiner Waffe sein Ziel verfehlen und eine Handbreit an ihrer Schulter vorbeizischen zu lassen. Sie stürzte und rollte über die Schulter ab. Der Roboter versetzte ihr einen Tritt in den Leib, der nun ihre Knochen hörbar knacken ließ. Die Waffe richtete sich auf ihr Gesicht, um es zu verbrennen.
Stattdessen erstrahlte plötzlich sein Gesicht in grellem gelbem Licht.
Anders als Charlotte oder Nora schien er gegen seine eigene Waffe zumindest zum Teil immun zu sein, denn weder seine Kleidung noch sein Metallgesicht fingen Feuer, aber er schrie gellend auf, ließ die Waffe fallen und schlug beide Hände vors
Gesicht. Brüllend torkelte er rückwärts gegen die Wand. Das Licht ließ sein Stahlgesicht los und wurde von einem schlanken, spinnengliedrigen Schemen abgelöst, der mit blitzenden Klauen und schnappenden Zähnen über ihn herfiel und ihn in Stücke zu reißen begann.
Es dauerte vielleicht zwei Sekunden, und als es vorüber war, schlug auch die Tür zu der Nische aus purem Wahnsinn wieder zu, in die sie für einen Moment geblickt hatte. Aus der apokalyptischen Gottesanbeterin wurde wieder Nora, die über der reglosen Gestalt kniete und die Zähne in ihren Hals geschlagen hatte, um ihr Blut zu trinken. Das Gesicht des Roboters war abgerissen und lag direkt neben Lena, und es war ebenso wenig ein Gesicht, wie der Roboter ein Roboter war. Es handelte sich um ein ebenso kompliziert wie futuristisch anmutendes Nachtsichtgerät, das es dem Russen ermöglicht hatte, auch in der Dunkelheit zu sehen.
Benommen rappelte Lena sich auf und stieß das unheimliche Ding mit der Hand weg. Albernerweise machte es ihr jetzt, wo sie wusste, was es wirklich war, beinahe noch mehr Angst als zuvor.
»Alles in Ordnung?«, fragte Nora.
Lena nickte zwar, vermied es aber, in ihr blutbesudeltes Gesicht zu blicken. »Ja.«
»Dann bleib hier und versuch wenigstens, dich nicht erwischen zu lassen«, fuhr Nora fort. »Da draußen sind immer noch ein paar von den Kerlen.«
Sie machte einen einzelnen, irgendwie … staksenden Schritt und blieb dann noch einmal stehen, um in die Hocke zu gehen und die Waffe des Russen aufzuheben.
»Interessantes Spielzeug«, sagte sie. »Aber trotzdem dämlich. Louise hat recht. Dieser Anton ist ein Idiot.«
Sie hielt Lena die Waffe mit dem Griff voran hin und machte eine auffordernde Geste, als sie zögerte, sie zu nehmen.
»Nimm schon. Aber pass auf, dass du dir nicht selbst ein Loch in den Bauch brennst. Tut ziemlich weh.«
Lena gehorchte endlich und schloss die Hand um den klobigen Griff der Waffe, die so wenig irgendein Science-Fiction-Ding war wie der Russe ein Ungeheuer vom Mars. Am Lauf der großen Pistole war lediglich mit schwarzem Klebeband eine Taschenlampe befestigt worden. Das Glas hatte einen seltsamen bläulichen Glanz, und der Schalter war so umgebaut worden, dass der Schütze ihn mit dem Daumen drücken konnte, ohne den Zeigefinger vom Abzug der Waffe zu nehmen.
Sorgsam darauf bedacht, die Lampe weder in ihre noch in Noras Richtung zu halten, drückte Lena den Knopf, und ein geisterhaft bleicher Lichtstrahl fiel auf die gegenüberliegende Wand und zerfaserte zu einem blauen Oval.
»UV-Licht?«, fragte sie überrascht.
»Mit der entsprechenden Birne und einem Lötkolben gar kein Problem«, antwortete Nora. »Unser Anton scheint ein begabter Hobbybastler zu sein.«
Direkt auf der anderen Seite der Tür ertönte ein gellender Schrei, und Nora fuhr mit einer blitzartigen Bewegung herum.
»Bleib hier!«, zischte sie und war im nächsten Sekundenbruchteil einfach verschwunden.
Lena ließ die unheimliche Waffe angewidert fallen und richtete sich dann ganz auf. Noras Warnung war nur zu berechtigt: Sie konnte hören, dass der Kampf dort draußen noch nicht vorbei war, und die unheimlichen Waffen der Russen vermochten sie schwer zu verletzen, wenn nicht zu töten.
Aber es erschien ihr noch viel unerträglicher, allein mit dem toten Russen hier drinnen zu bleiben.
Mit angehaltenem Atem schlich sie hinter Nora her. Es war nahezu vollkommen dunkel. Nur die Monitore hinter dem Pult des DJs stanzten eine verschwommene Halbkugel aus blassem Licht in die künstliche Nacht, wodurch die Dunkelheit
im Rest des riesigen Raums
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