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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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steuerte den Balkon schräg unter sich an und sprang hinein. Lenas Gleichgewichtssinn lief für
einen Moment Amok, und ihre Eingeweide rebellierten um die Wette, als die Schwerkraft zum zweiten Mal binnen weniger Augenblicke um neunzig Grad zu kippen schien. Louise ließ sie los, schubste sie schon wieder unsanft gegen die Wand, um sie vor den sengenden Sonnenstrahlen zu bewahren, die den Großteil des Balkons in eine funkelnde Todeszone verwandelten, und war mit einem schnellen Schritt bei der Balkontür, um das Schloss mit dem Handballen einzuschlagen, ohne dass das Glas zerbrach.
    Über ihnen fiel ein peitschender Schuss, gefolgt vom Geräusch zerberstenden Glases. Als Lena erschrocken den Kopf in den Nacken warf, sah sie Charlotte rückwärts aus dem Scherbenregen taumeln, in dem die Balkontür explodierte. Blut lief in Strömen über ihr Gesicht und ihre Schultern, und was von ihrem Kleid noch übrig war, hing endgültig in Fetzen. Noch bevor sie gegen die Brüstung prallte, ertönte ein ganzes Stakkato weiterer Schüsse, und zwei, drei, vier entsetzlich große blutfarbige Flecken erblühten auf ihrem Rücken. Charlotte wurde von dem gleich vierfachen Einschlag herumgerissen und prallte mit furchtbarer Wucht gegen die steinerne Balustrade. Eine der beiden erbeuteten MPis, die sie in den Händen hielt, flog davon und verschwand in der Tiefe, die andere stieß einen lang anhaltenden Feuerstoß aus, der die Fensterfront der Suite auf ganzer Breite zertrümmerte. Funken stoben, und Querschläger jagten heulend davon. Lena glaubte inmitten des infernalischen Lärms Schreie zu hören, vielleicht den dumpfen Aufprall eines fallenden Körpers, und nun drangen auch von der Straße erschrockene Rufe herauf, Hupen und das Kreischen von Reifen, und weitere Schüsse peitschten, selbst als die MPi Charlottes zerschossenen Fingern entglitt und zu Boden fiel. Sie selbst versuchte sich mit all ihrer übermenschlichen Kraft an der Balkonbrüstung festzuklammern, und vielleicht hätte sie es sogar geschafft, hätten sie nicht in diesem Moment zwei weitere Schüsse
in Brust und Schulter getroffen und wie ein Faustschlag nach hinten gerissen. Ohne einen Laut und eingehüllt in einen rasend schnell größer werdenden Kokon aus orangefarbenen Funken, stürzte sie in die Tiefe.
    Louise packte Lena am Arm und zerrte sie ins Zimmer. Dann drückte sie die Tür hinter ihr zu und schloss die Vorhänge mit einem Ruck. Sicheres Halbdunkel hüllte sie ein.
    Das Zimmer war sehr viel kleiner als die Suite oben, und seine Bewohner hatten es in sichtlicher Hast verlassen. Die Tür stand offen. Gedämpfte Schreie und der unverkennbare Lärm einer ausbrechenden Panik wehten ihnen entgegen, als sie auf den Hotelflur hinaustraten. Louise steuerte mit den ersten beiden Schritten die Aufzüge an, schlug dann einen blitzschnellen Haken und raste stattdessen auf die Treppe zu.
    Es ging gut, bis sie die zweite Etage erreicht hatten und dem vorletzten Treppenabsatz entgegenstürmten. Dort kamen ihnen drei Gestalten entgegen, und Lena war endgültig davon überzeugt, dass das Schicksal keineswegs willkürlich oder auch nur gleichgültig war, sondern ganz im Gegenteil einen ausgeprägten Sinn für schwarzen Humor besaß, denn die drei waren bewaffnet, keiner von ihnen wirkte auch nur bisschen überrascht, Louise und sie zu sehen, und selbstverständlich war einer von ihnen Tom.
    Louise kam wie eine Furie über sie. Tödliche Krallen blitzten auf, zerfetzten die Panzerweste des ersten Polizisten samt der Brust darunter und fuhren wie Messerklingen durch die Kehle des zweiten. Noch während er sterbend zusammenbrach, krümmte sich sein Zeigefinger um den Abzug der MPi, und ein abgehackter Feuerstoß jagte Kugeln in Wände und Decke und überschüttete sie mit Staub und Putz und einem Hagel gefährlicher Schrapnellsplitter. Louise war mit einer blitzartigen Bewegung bei Tom, schlug ihm die Waffe aus der Hand und zielte mit einer mörderischen Krallenhand nach seinem Gesicht.
Lena konnte sich nicht erinnern, Louise sich jemals schneller bewegen gesehen zu haben.
    Trotzdem war Lena noch schneller.
    Als Louise zuschlug, war sie … irgendwie neben ihr, schmetterte ihren Arm zur Seite und stieß sie wuchtig zurück. Neben ihr brach Tom mit einem erstickten Keuchen zusammen und rollte ein halbes Dutzend Stufen die Treppe hinunter, wo er benommen liegen blieb. Louise fauchte zornig, packte Lena mit beiden Händen an den Schultern und rammte sie so fest gegen die Wand,

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