Wir sind die Nacht
spezialisierter Einzelkämpfer, der es mit nahezu jedem Gegner aufnehmen konnte und alles war, nur nicht dumm.
Schritt für Schritt wichen die Beamten vor ihnen zurück, bis die Lobby unter ihnen lag, ein einziges Chaos aus durcheinanderhastenden Menschen und zuckenden Lichtern und Uniformen und Waffen. Sehr vielen Uniformen, wie Lena besorgt feststellte. Es mussten mindestens zwanzig SEK-Beamte sein, die sich in der großen Lobby verteilt und hinter Mobiliar und Säulen Deckung gesucht hatten, sofern sie nicht mit mehr oder weniger Erfolg versuchten, die hysterischen Hotelgäste im Zaum
zu halten, die sich vor den immer noch verschlossenen Glastüren drängten.
Lena bemerkte auch noch etwas, was ihre Nervosität weiter steigerte: Nicht alle Polizisten waren mit MPis oder Handfeuerwaffen ausgerüstet. Mindestens zwei von ihnen zielten mit gefährlich aussehenden Scharfschützengewehren auf sie.
Vorsichtig, ohne Louise die Arbeit abzunehmen und sich selbst die Kehle aufzuschlitzen, drehte sie den Kopf und gewahrte zwei winzige rote Lichtpunkte unmittelbar über Louises Nasenwurzel, so dicht nebeneinander, dass sie immer wieder zu einem einzelnen zu verschmelzen schienen.
»Was mache ich, wenn sie schießen?«, flüsterte sie.
Ein wahrscheinlich nur für sie sichtbares Lächeln huschte über Louises Lippen. »Zusehen und lernen«, gab sie genauso leise zurück. Zu dem epilepsiefördernden Zucken eines Dutzends Blaulichter draußen vor der Lobby gesellte sich jetzt auch noch das Heulen einer Feuerwehrsirene, die rasend schnell näher kam.
»Zur Seite!«, befahl Louise. »Ich lasse sie gehen, sobald ich draußen bin, aber ich lege sie um, wenn hier irgendeiner meint, den Helden spielen zu müssen!«
Es funktionierte tatsächlich. Am Fuß der breiten Treppe angekommen, wichen die SEKler rasch weiter vor ihnen zurück, um sie passieren zu lassen, und Lena fragte sich immer verwirrter, was Louise überhaupt vorhatte. Selbst wenn diese vermeintliche Geiselnahme tatsächlich eine winzige Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (was sie nicht hatte), wartete draußen nichts anderes als der sichere Tod auf sie.
Langsam und sich im Gehen immer wieder um ihre eigene Achse drehend, näherten sie sich dem Ausgang. Auf eine befehlende Geste von Louises freier Hand hin gaben die Beamten die riesige Drehtür frei, aber Louise schüttelte nur den Kopf. »Für wie blöd haltet ihr mich?«, fauchte sie. »Räumt die Straße leer! Aber eine von euren Karren bleibt hier!«
»Das glaube ich eher nicht«, sagte eine Stimme hinter ihnen.
Louise fuhr so abrupt herum, dass sie Lena einen zweiten und noch tieferen Schnitt zufügte, und Lena konnte ein enttäuschtes Aufstöhnen nun nicht mehr ganz unterdrücken.
Hatte sie wirklich geglaubt, damit durchzukommen?
»Ihr werdet nirgendwo hingehen, Freunde«, fuhr Lummer fort. Er war sehr blass, bis auf die Haut durchnässt und so wütend, dass sie ihm ansehen konnte, wie viel Überwindung es ihn kostete, sich nicht einfach auf sie zu stürzen. »Die beiden gehen nirgendwohin«, sagte er an die Männer in seiner Umgebung gewandt. »Netter Trick, aber sie gehören zusammen. Die beiden sind ein Herz und eine Seele, hab ich recht?«
»Ganz so würde ich es nicht nennen«, antwortete Louise ungerührt. »Wir kennen uns, das stimmt. Aber das hindert mich nicht daran, ihr den Hals durchzuschneiden.«
»Sie bluffen«, sagte Lummer.
Lena konnte Louises Schulterzucken spüren. »Willst du’s drauf ankommen lassen?«
»Warum nicht?«, schnaubte er, aber seine Stimme verriet eine Spur von Zweifel.
»Dass wir zusammengehören, bedeutet nicht automatisch, dass wir auch gute Freundinnen sind«, sagte Louise, nahm das Messer von Lenas Hals und zog ihr die Klinge quer über die rechte Wange.
Es tat so weh, dass Lena vor Schmerz gellend aufschrie und sich mit aller Gewalt in Louises Griff aufbäumte. Alles, was sie erreichte, war, sich selbst noch übler zu verletzen, bevor Louise das Messer erneut an ihre Kehle setzte.
»Sind Sie … verrückt?«, ächzte Lummer.
»Ein bisschen«, antwortete Louise. »Aber vor allem bin ich ziemlich freiheitsliebend. Lasst mich gehen, oder ich mache ein fünfzigteiliges Puzzle aus dem hübschen Gesicht der Kleinen hier, bevor ich ihr die Kehle durchschneide.«
Lena musste immer größere Willenskraft aufwenden, um nicht vor Schmerz das Bewusstsein zu verlieren. Das Schlimme war, dass sie spürte, wie bitterernst Louise es meinte. Es war kein Bluff. Das … Ding
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