Wir sind die Nacht
Helden zu spielen macht es auch nicht mehr besser«, sagte Tom. »Du wirst dabei draufgehen.«
»Möglich«, antwortete Lummer achselzuckend. »Aber dann habe ich es wohl nicht besser verdient.«
Lena spürte, dass er diese Worte bitterernst meinte, so theatralisch sie sich auch anhörten. Trotzdem schüttelte auch sie nur den Kopf. »Tom hat recht«, sagte sie. »Sie haben keine Ahnung, mit wem Sie sich da einlassen.«
»Aber Sie haben es«, gab Lummer grimmig zurück. »Und ich habe noch das hier.« Er klappte das Handschuhfach auf und nahm eine Waffe heraus. Lena riss die Augen auf, als sie die kaum zigarrendicke Taschenlampe erblickte, die mit schwarzem Klebeband am Lauf befestigt war.
»Die haben wir im Club gefunden«, sagte Lummer. »Ich nehme an, Sie können mir erklären, wie man sie benutzt, oder? Ich habe eine ungefähre Vorstellung, aber ein kleiner Crashkurs wäre nicht schlecht.«
Lena beugte sich in den Wagen, nahm ihm die Waffe aus der Hand und richtete sich wieder auf. Der bläuliche Lichtpunkt, den sie auf den Matsch zu ihren Füßen warf, als sie die Lampe
einschaltete, sah geradezu lächerlich klein aus, bereitete ihr aber körperliches Unbehagen. Trotzdem streckte sie den Arm aus, hob die Lampe und ließ den Strahl zischend über ihren Unterarm streichen. Flammen und übel riechender, klebriger Rauch stiegen auf, und Tom sog entsetzt die Luft ein.
Lena schaltete die Lampe aus, biss die Zähne zusammen, um einen Schmerzlaut zu unterdrücken, und wartete, bis die Spur aus verbrannter Haut und brodelndem Fleisch vollkommen verschwunden war, was nur wenige Sekunden dauerte.
»Das ist es, womit Sie es zu tun bekommen«, sagte sie, während sie Lummer die Waffe zurückgab. »Und Sie glauben, Sie hätten eine Chance?«
Lummer war klug genug, die Frage nicht zu beantworten. Er schob die Waffe unter seine Jacke und klappte das Handschuhfach zu.
»Hübsch«, sagte Tom scheinbar zusammenhanglos.
Lena blickte ihn verständnislos an, sah dann an sich herab und stellte fest, dass ihre Jacke und die zerrissene Bluse darunter wieder aufgegangen waren, als sie sich in den Wagen (und über Tom) gebeugt hatte. So hastig, dass sie sich den Hinterkopf anstieß, prallte sie zurück.
»He!«, protestierte sie, indem sie die Jacke mit der Hand zusammenraffte.
»Was denn?«, sagte Tom feixend. »Wäre es dir lieber, wenn ich ein angewidertes Gesicht machen würde?«
»Könnt ihr beiden Turteltäubchen vielleicht später darüber reden?«, fragte Lummer. Dann wandte er sich wieder ernst an Lena. »Ich erledige das allein. Ich habe es angerichtet, und ich bade es auch allein aus. Tom und Sie verschwinden.«
»Und Sie würden mich gehen lassen?«, fragte Lena. »Obwohl ich auch so ein … Ding bin?«
»He«, sagte Tom, »habe ich dazu vielleicht auch etwas zu sagen?«
»Nein«, antworteten Lummer und sie wie aus einem Mund, und ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
»Ich weiß nicht, was Sie sind, Lena«, fuhr Lummer fort. »Mir ist nicht bekannt, dass Sie etwas getan hätten. Von Ihren drei Freundinnen - oder der, die noch übrig ist - weiß ich das wohl. Wir können ihr vielleicht nichts beweisen, aber ich werde sie nicht davonkommen lassen. Dennoch wäre es mir lieber, wenn ich es allein tue. Ich will nicht, dass Tom etwas zustößt.« Dass er sie bei diesem Wunsch ausließ, entging Lena keineswegs.
»Keine Chance!«, schnaubte Tom. Er machte eine Kopfbewegung zu Lummers Jacke und der Waffe, die er darunter trug. »Hast du noch so ein Ding?«
Lummer antwortete ihm nicht und sah Lena weiter durchdringend an. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Keine Chance«, sagte sie ebenfalls.
Es ging ihr ganz und gar nicht darum, Lummer in seinem aussichtslosen Kampf gegen einen Feind beizustehen, von dessen wahrer Stärke er sich keine Vorstellung machte. Lummer war ihr eigentlich egal, seinetwegen würde sie keinen Finger rühren. Aber vielleicht waren Lummer und Tom ja umgekehrt ihre einzige Chance. Louise würde sie nicht einfach gehen lassen. Sie würde niemals aufhören, nach ihr zu suchen, und sie zweifellos irgendwann finden. Eigentlich wunderte sich Lena sogar, dass sie nicht schon hier war.
Sie überlegte noch kurz und machte dann eine Kopfbewegung hinter sich. »Wartet fünf Minuten«, sagte sie, »und dann kommt nach. Aber schaltet die Lichter aus.«
Sie drehte sich um und konzentrierte sich darauf, unsichtbar zu werden. Vorsichtshalber - sollte das mit dem Verwandeln nicht klappen -
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