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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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schieren Ewigkeit wurde, gelang es ihr, sich vom Blick dieser verzehrenden Augen zu lösen, aber nur, weil ihr Gegenüber es zuließ.
    »Du bist …«, stammelte sie. »Ich meine, Sie sind …«
    »Du ist schon in Ordnung«, unterbrach sie die Blonde. »Wir duzen uns hier alle.« Sie lachte. »Sie sage ich nur zu Leuten, die ich nicht leiden kann.«
    Jetzt wäre es wohl an Lena gewesen, zu lachen oder wenigstens mit einem Lächeln zu reagieren, aber sie konnte inzwischen nicht einmal mehr richtig denken. Oder sich auch nur daran erinnern, wie sie auf den Barhocker hinaufgekommen war.
    »Dann sind Sie …«, begann sie, rettete sich in ein verwirrtes Lächeln und setzte neu an: »Dann bist du Charlotte?«
    »Louise«, antwortete die Blonde. »Charlotte sitzt da drüben.«
    Sie machte eine Kopfbewegung auf eine dunkelhaarige Frau - unmöglich, ihr Alter zu schätzen, aber auch sie war jung -, die in einem uralten Plüschsessel am anderen Ende des VIP-Bereichs saß und in einem sichtlich alten Buch mit goldgeprägtem Ledereinband blätterte.
    »Aber es heißt doch Charlottes Club.«
    »Klingt besser als Louises Club, meinst du nicht auch?«, sagte Louise. »Und es hat noch ein paar andere Gründe. Frag meinen Steuerberater, wenn es dich wirklich interessiert. Und du bist …?«
    »Lena«, antwortete Lena.
    »Lena«, wiederholte Louise. »Ein hübscher Name.« Sie winkte den Barkeeper heran. »Einen Caipi, Süßer. Und du?«
    Lena nickte. Louise gab die Bestellung mit zwei erhobenen Fingern weiter und machte dann ein gespielt überrascht-betroffenes Gesicht. »War ich jetzt zu vorschnell? Du lädst mich doch ein, oder? Von meinem Geld?«

    Lena starrte sie an. Sie war nicht einmal erschrocken. Alles war so … unwirklich.
    Louise weidete sich einige Augenblicke lang ganz unverhohlen an ihrem fassungslosen Gesicht und machte dann eine kaum angedeutete Handbewegung. Der Türsteher trat kommentarlos neben sie, nahm ihr die Tasche von der Schulter und zog die Brieftasche heraus, die sie erbeutet hatte. Wortlos gab er ihr die Tasche zurück und verschwand dann in Richtung Treppe.
    »Es ist unglaublich, wie schlampig die Leute geworden sind«, sagte Louise lächelnd. »Andauernd verlieren sie etwas. Wenn mein Personal nicht so gut aufpassen würde, dann würde die Hälfte von ihnen ohne ihre Brieftasche nach Hause gehen.«
    »Ich … kann das erklären«, stammelte Lena.
    Louise reagierte nur mit einem spöttischen Lächeln darauf, aber neben ihr sagte jemand mit aufgekratzter Stimme: »Ja, darauf wette ich. Aber spar dir die Mühe, Schätzchen, sonst müsste dir Louise am Ende noch erklären, woher sie das Geld für diesen Edelschuppen hier hat, und das könnte ziemlich peinlich für uns alle werden.«
    Der schwarze Wuschelkopf, der gerade noch unten auf der Box getanzt hatte, schwang sich mit einer sportlichen Bewegung auf den freien Hocker neben ihr, schlug die Beine übereinander und streckte ihr die Hand entgegen. »Nora.«
    »Lena«, antwortete Lena automatisch, streckte ihrerseits die Hand aus und legte dann erstaunt die Stirn in Falten, als sie spürte, wie stark der Händedruck des so zerbrechlich aussehenden Mädchens war.
    »Nimm sie nicht ernst«, sagte Louise. »Nora ist ein Kind, und ich fürchte, das wird sie auch für die nächsten fünfhundert Jahre bleiben.«
    Nora lachte zwar, aber sie tat es auf eine wirklich … seltsame Art, die Lenas Verwirrung nur noch weiter steigerte.
    Dann fiel ihr etwas ein, und sie griff jetzt umso hastiger in
ihre Tasche, um die Geldscheine herauszunehmen, die vor ein paar Minuten noch unter Louises Clip gewesen waren.
    »Schon gut.« Louises schüttelte den Kopf und machte eine abwehrende Geste. »Behalt es als Anzahlung.«
    »Als Anzahlung?«, wiederholte Lena, genauso verwirrt wie misstrauisch. »Worauf?«
    »Dafür, dass ich in deine wunderschönen Augen sehen darf«, antwortete Louise. Sie lächelte plötzlich auf eine völlig andere Art als bisher, und wieder erschien etwas in ihren Augen, was es Lena unmöglich gemacht hätte, sich ihrem Blick zu entziehen, hätte Louise es nicht erlaubt.
    Der Barkeeper kam und brachte die bestellten Drinks. Louise wartete, bis Lena - vorsichtig - an ihrem Glas genippt hatte, und fuhr dann fort: »Wo sind deine Freunde?«
    »Welche Freunde?«
    »In deinem Alter geht doch niemand ohne seine Clique aus«, sagte Louise. Sie setzte ihr Glas an, und obwohl ihr Blick sich ganz auf seinen Inhalt zu konzentrieren schien, hatte Lena irgendwie noch

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