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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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immer das Gefühl, angestarrt zu werden.
    »Ich schon«, sagte sie. »Hab mich für’ne Solokarriere entschieden. Das macht das Leben leichter.«
    Louise lächelte zur Antwort nur, und dieses Lächeln war beinahe mehr, als Lena ertragen konnte. Das Eis in ihrem Magen war längst geschmolzen, und nun breitete sich an seiner Stelle ein zwar vertrautes, aber in diesem Moment höchst unwillkommenes warmes Kribbeln aus, das sie erschrocken verscheuchte.
    »Diese Einstellung gefällt mir«, fuhr Louise nach einer Weile fort. »Wenn du nicht wie alle anderen sein möchtest, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Du gehst an ihrer Welt zugrunde, oder du schaffst dir deine eigene.«
    »So wie du?«, fragte Lena und sah demonstrativ in die Runde.
    »So wie ich«, bestätigte Louise.

    »Dazu braucht man aber Kohle.«
    »Mut reicht vollkommen«, sagte Louise.
    Das war nun wirklich totaler Quatsch. Mut hatte sie genug für drei, und sie war auch alles andere als dumm, aber wohin hatte es sie gebracht? In den Jugendstrafvollzug und danach in die Obhut eines korrupten Bewährungshelfers, der mindestens ebenso scharf auf ihren Hintern wie auf ihr Geld war.
    O ja, und zumindest im Moment in den angesagtesten Club der Stadt und den Fokus einer geheimnisvollen Frau, die ganz bestimmt nicht an ihrem Geld interessiert war.
    »Und du hast beides?«, erwiderte sie mit einiger Verspätung.
    »Genug für zwei.« Louise sah sie schon wieder auf diese betörende Art an, und dieses Mal kostete es Lena all ihre Willenskraft, die verstörenden Gefühle zu vertreiben, die allein dieser bloße Blick in ihr auslöste. Sie nippte noch einmal an ihrem Drink. Dann glitt sie vom Barhocker herunter und nahm das Bündel Zweihunderter aus der Tasche, um es vor Louise auf die Theke zu legen.
    »Ich weiß das zu schätzen«, sagte Lena, »aber ich glaube, ich versuch’s erst mal allein weiter.«
    Louise musterte sie durchdringend und nickte schließlich. »Ich bin beeindruckt. Anscheinend habe ich mich nicht in dir getäuscht.«
    »Inwiefern?«
    Louise überging die Frage. Sie löste den Geldclip vom Träger ihres Kleids und schob die Banknoten ebenso achtlos darunter, wie sie den gesamten Clip anschließend auf die Theke fallen ließ. »Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Glück, Kleines. Und wenn du es dir doch noch anders überlegst oder mal Hilfe brauchst, dann weißt du ja, wo du mich findest.«
    Lena hatte das Gefühl, dass sie jetzt eigentlich etwas ganz Bestimmtes darauf sagen sollte - und wusste tief im Innersten sogar ganz genau, was -, aber sie gestattete sich nicht, die Worte
auszusprechen. Stattdessen lächelte sie nur noch einmal zum Abschied und drehte sich dann hastig weg.
    Nach einem einzigen Schritt blieb sie wie angewurzelt wieder stehen und starrte den hochgewachsenen Blondschopf an, der am anderen Ende des großen Raums aufgetaucht war und zielstrebig in ihre Richtung eilte.
    »Kennst du den Typen?«, fragte Nora.
    Sie kannte sogar seinen Namen. Aber was um alles in der Welt tat Tom hier?
    »Auf jeden Fall sieht er niedlich aus«, kicherte Nora. »Du hast einen guten Geschmack, Kleines.«
    »Ein Bulle?«, erkundigte sich Louise.
    Lena hörte, wie sie hinter ihr raschelnd vom Barhocker glitt und neben sie trat. Sie sah nicht hin, konnte aber - es war völlig verrückt - ihren Geruch spüren. Nicht das sündhaft teure Parfüm, das sie aufgelegt hatte, sondern etwas darunter, etwas Archaisches, etwas viel Älteres - und selbst dieser schwache Hauch war schon beinahe mehr, als sie ertragen konnte. »Du kennst ihn?«
    »Nein.« Als Louise den Kopf schüttelte, raschelte ihr Haar wie fein gesponnene Seide. »Aber ich kann Bullen riechen.«
    So, wie sie das sagte, klang es vollkommen ernst.
    Als sie dann weitersprach, klang ihre Stimme anders, fast wie ein Befehl. »Halt ihn auf, Nora! Und du verschwindest, Lena! Wir lenken ihn ab.«
    »Gibt’s einen Hinterausgang?«
    »Ja«, antwortete Louise, wiegte aber den Kopf. »Ist zu weit. Außerdem steht da womöglich auch einer. Verschwinde auf die Toilette. Ich mach von hier aus auf. Schnell!«
    Lena stürmte los, besann sich nach zwei Schritten darauf, dass sie in ihrem roten Kleid - das Tom noch dazu kannte! - schon auffällig genug war, und zwang sich deshalb, möglichst langsam die Treppe hinabzugehen und die schmale Tür neben
der offiziellen Toilette anzusteuern. Als sie dicht davor war, hörte sie ein feines Summen, und die Tür sprang, wie von Geisterhand bewegt, einen Fingerbreit auf.

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