Wir sind die Nacht
Jahren.«
»Du hättest mich … fragen können«, sagte Lena hilflos.
»War dein altes Leben denn so kostbar?«, fragte Louise.
»Nein«, antwortete Lena. »Aber es war mein Leben.«
Louise sah ein bisschen verletzt aus, antwortete aber nicht sofort, sondern streckte die Hand aus, um das dünne Laken wieder hochzuziehen, das Lena von den Schultern gerutscht war. Nicht dass es viel nutzte. Ihr Körper zeichnete sich so deutlich unter der dünnen Seide ab, dass sie genauso gut auch
gar nichts hätte tragen können, und er verriet sehr deutlich, wie sie auf Louises Nähe reagierte.
»Dein Leben«, sagte Louise schließlich, als das Schweigen zwischen ihnen unbehaglich zu werden drohte. Sie seufzte. »Ja, das ist wahr. Aber es war in dem Moment vorbei, in dem du Iwan die Brieftasche gestohlen hast. Und das war nicht meine Entscheidung.«
»Und ich dachte, ihr wisst nichts über mich.«
»Ich habe mich erkundigt. Und dein junger Freund war sehr gesprächig. Er ist niedlich.«
»Mein Freund?«
»Dieser junge Polizist Tom.«
Lena richtete sich alarmiert auf. »Du hast …?«
»Er«, fiel ihr Louise ins Wort, »ist zu mir gekommen, um eine Menge neugieriger Fragen zu stellen, Liebes. Nicht nach dir. Oder doch, wie man’s nimmt.« Sie schien nach Worten zu suchen. »Du hast dir das falsche Opfer ausgesucht. Iwan hatte etwas in seiner Brieftasche, an dem ihm wirklich viel gelegen ist. Er will es wiederhaben, und sein Boss auch. Und mit den Jungs ist nicht zu spaßen.«
Das hatte Lena gemerkt. »Hast du sie deshalb umgebracht?«
Louise zog die linke Augenbraue hoch. »Ich kann mich ja täuschen - aber mir kam es so vor, als hättest du ihn getötet.«
»Das meine ich nicht.« Lena versuchte die Bilder zu verscheuchen, weil sie so wenig zu dem Hochgefühl passten, das sie immer noch erfüllte, aber es gelang ihr nicht: Sie sah den Russen, den Charlotte mit ihrem Absatz aufgespießt hatte, und den fast gelangweilten Ausdruck auf Louises Gesicht, als sie dem anderen das Genick brach.
»Wäre es dir lieber gewesen, wenn sie dich umbringen?«, fragte Louise.
»Ich dachte, ich bin jetzt unsterblich …«, sagte Lena. Sie wollte lachen, aber es gelang ihr nicht.
»Niemand ist unsterblich«, antwortete Louise ernst. »Man kann uns töten, aber es ist ziemlich schwer.«
Dem Russen wäre es beinahe gelungen. Lena erinnerte sich an den grausamen Schmerz, als er versucht hatte, ihr das Kreuz zu brechen; und die absolute Gewissheit, dass sie sterben würde. Aber da war sie doch noch nicht das gewesen, was sie jetzt war … oder?
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Louise. »Sie werden dir nichts mehr tun. Stepan ist ein Idiot, aber er ist nicht dumm. Ich denke, er hat meine Nachricht verstanden.«
»Stepan?«
Louise zuckte mit den Achseln und stand auf. »Wie gesagt: Er ist ein Idiot. Diese Kerle nennen sich Russenmafia und sind auch noch stolz darauf. In Wahrheit sind sie nichts als ein Haufen mieser Zuhälter und Schläger. Sie werden dich in Ruhe lassen, keine Angst.«
Die hatte Lena auch nicht. Vielleicht würde sie nie wieder Angst haben, war sie doch in ein neues Leben eingetreten, in dem ein solches Gefühl keinerlei Bedeutung mehr hatte. Aber sie spürte, dass Louise ihr etwas verschwieg - auch wenn ihr der Gedanke schon wie ein Verrat an ihr vorkam.
»Und du willst mir erzählen, das wäre alles nur Zufall gewesen?«
»Ich glaube nicht, dass es so etwas wie nur Zufall gibt«, sagte Louise. »Davon abgesehen bekommen wir öfter Besuch von der Polizei. Das bringt das Nachtclub-Gewerbe nun einmal mit sich. Aber es hat nichts mit dir zu tun, Lena.«
Und auch das war nicht die Wahrheit. Lena hätte die neu erwachte Schärfe ihrer Sinne nicht gebraucht, um das zu erkennen. Sie verschwieg ihr etwas.
»Schluss jetzt«, seufzte Louise. »Wir haben noch mehr als genug Zeit, um alle Probleme der Welt zu diskutieren und uns darauf zu einigen, wie wir aus diesem Planeten einen besseren
Platz für die Menschen machen können … und was da sonst noch kreucht und fleucht. Die Mädchen und ich haben noch ein paar Dinge zu besprechen, und solange es hell ist, können wir sowieso nicht hier raus. Warum nimmst du nicht ein Bad und denkst in aller Ruhe über alles nach, und später unterhalten wir uns zu viert?«
»Und worüber?«
Louise deutete mit einer Kopfbewegung auf das geleerte Glas, das neben dem Bett auf dem Boden stand. »Zum Beispiel darüber. Nora hat dir gesagt, wie es läuft, oder?«
»Habe ich denn noch die
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