Wir sind die Nacht
zweite Chance geben, Liebes. Noch einmal von vorn anfangen, und das mit Möglichkeiten, die du dir jetzt noch nicht vorstellen kannst!«
»Ja, das klingt fantastisch«, sagte Lena böse. »Es wäre allerdings nett gewesen, wenn du mich vorher gefragt hättest.«
»Diese Entscheidung habe nicht ich getroffen«, antwortete Louise ruhig. »Dein Schicksal stand schon im Moment deiner Geburt fest. Ich habe dir lediglich die Tür gezeigt, an der die allermeisten anderen vorbeigehen, ohne sie zu sehen. Ob du hindurchgehst, ist immer noch deine Entscheidung.«
Sie wartete einen Moment auf eine Antwort, stand schließlich auf und ging zu einem kleinen Schränkchen auf der anderen Seite des Zimmers, vor dem sie sich in die Hocke niederließ. Glas klirrte leise. Lena konnte nicht genau erkennen, was sie tat, aber sie konnte auch nicht anders, als sie fasziniert anzustarren. Alles an Louise schlug sie in den Bann. Sie wollte das nicht, aber es war ihr unmöglich, sich dagegen zu wehren.
Louise stand auf und kam mit zwei Champagnergläsern zurück. Sie waren mit einer dunkelroten Flüssigkeit gefüllt, die
wie schwerer Wein ausgesehen hätte, hätte nicht zermahlenes Eis darin geglitzert. Und wäre der Geruch nicht gewesen.
»Ich … will das nicht«, sagte Lena mit einer Stimme, deren bloßer Klang das genaue Gegenteil behauptete. Louise reagierte auch gar nicht darauf, sondern nahm neben ihr auf der Bettkante Platz, schlug die Beine übereinander und nippte an ihrem Glas. Das andere balancierte sie mit einem Finger und fast magisch anmutendem Geschick auf dem Knie.
Lena hätte nicht einmal den Geruch wahrnehmen müssen, um zu wissen, wie sehr sie diesen roten Lebenssaft brauchte. Bisher war sie einfach noch zu benommen und durcheinander gewesen, um es zu begreifen, aber es war noch lange nicht vorbei. Der Entzug hatte seinen Höhepunkt nicht annähernd erreicht.
»Ich will das nicht«, sagte sie noch einmal.
»Willst du doch«, erwiderte Louise lächelnd und nahm einen weiteren Schluck. Lena glaubte zu sehen, wie ihre Lippen einen Teil des kostbaren Rots absorbierten, bevor das Blut ihre Kehle hinunterrann. Der Anblick von Louises Zungenspitze, die nach den letzten kostbaren Tropfen in ihrem Mundwinkel tastete, jagte ihr einen kribbelnden Schauer über den Rücken. Louise lächelte nur, aber ihr Blick machte klar, dass sie sich ihrer Wirkung wohl bewusst war. Mit einer anmutigen Bewegung leerte sie ihr Glas, stellte es auf den Boden und beugte sich dann vor. Ihr Gesicht war Lena jetzt ganz nahe, und ihre Lippen hatten tatsächlich die satte dunkelrote Farbe von Blut. Ein paar winzige rote Tröpfchen schimmerten darauf.
»Ich … will … das … nicht«, brachte Lena irgendwie heraus. Sie begann am ganzen Leib zu zittern.
Louise reagierte auch darauf nicht, sondern hob die freie Hand und zog ihr Gesicht an sich heran, und ihre Lippen berührten sich so sacht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.
Es war wie eine Explosion, die durch Lenas Körper raste und jeden einzelnen Nerv in Brand setzte. Louises Lippen - das
Blut, das sie darauf schmeckte!, versuchte sie sich einzureden - schmeckten süß, so berauschend, dass sie sie nie wieder loslassen wollte und nun ihrerseits die Arme hob, um Louise näher an sich heranzuziehen, damit sie die Wärme und Weichheit ihres Körpers spürte. Doch jetzt war es Louise, die sich von ihr löste und sie mit sanfter Gewalt von sich schob.
»Nein«, flüsterte sie. »So will ich es nicht. Ich möchte nichts, was du mir nicht freiwillig gibst.«
»Aber …«
Louise verschloss ihr mit dem Zeigefinger die Lippen. »Wir haben Zeit, Liebes«, sagte sie. »So viel Zeit, wie du nur willst.«
Sie nahm die Hand herunter, rutschte noch ein kleines Stück von Lena weg und hielt ihr mit der anderen das Glas hin. Zögerlich griff Lena danach, setzte es an und stürzte den Inhalt gierig hinunter. Warmes Blut lief an ihren Mundwinkeln hinab und tropfte ihr auf die Brust. Louise küsste es weg, entzog sich Lenas Händen aber mit einer raschen Bewegung, als sie nach ihr greifen wollte, und schüttelte lachend den Kopf.
»Lass dir Zeit, Liebes«, sagte sie. »Wir haben keine Eile.« Sie nahm ihr das leere Glas ab. »Nun? Wie fühlt es sich an?«
Lena schwieg. Sie konnte nicht in Worte fassen, wie sie sich fühlte. Lebendig. So unvorstellbar … lebendig wie niemals zuvor.
»Ich weiß«, sagte Louise lächelnd. »Man kann es nicht in Worte fassen. Nicht einmal mir gelingt es nach all den
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