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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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blinkendes Licht und der durchdringende Geruch nach Alkohol und Zigaretten und anderen, noch gefährlicheren Dingen.
    »Deine Willkommensparty, Kleines«, kicherte Nora. Sie bedeutete ihr aufgeregt, als Erste durch die Tür zu treten. »Nun mach schon. Wäre doch blöd, wenn ausgerechnet du nicht dabei bist, oder?«
    Eine Willkommensparty? Louise hatte nichts dergleichen angedeutet, aber vielleicht sollte es ja eine Überraschung sein. Lena wandte sich noch einmal ganz zu Nora um, las nichts als einen Ausdruck hämischer Vorfreude auf ihrem Gesicht und trat schließlich durch die Tür, um sich in einem - nein, sie wusste nicht, worin sie sich wiederfand.
    Irgendetwas zwischen einem Albtraum und etwas, wofür ihr die Worte fehlten.
    Der Raum war groß, wirkte aber beengt, weil er hoffnungslos vollgestopft war, nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Mobiliar, das aus allen möglichen Epochen zusammengewürfelt zu sein schien und nur ein verbindendes Element hatte: Es war ausnahmslos schäbig. Die Luft war zum Schneiden dick und brannte schon beim ersten Atemzug in Lenas Lunge. Alles
bewegte sich, überall waren tanzende Leiber und zuckende Lichter. Abgesehen von drei muskulösen Strippern, die ihre eingeölten Körper zum hämmernden Takt der Musik weiter entblätterten, erblickte Lena ausnahmslos meist junge Frauen, von denen auch nicht mehr alle vollständig bekleidet waren; und zumindest auf den ersten Blick war kaum noch eine nüchtern. Wer von ihnen sich nicht um die halb nackten Tänzer scharte, jedes weitere fallende Stück Stoff mit frenetischem Applaus und anfeuernden Rufen kommentierte oder ihnen Scheine in die knappen Slips steckte, der rekelte sich auf Sofas und ausladenden Plüschsesseln in dunklen Ecken herum, rauchte, trank, nahm irgendwelche anderen Drogen oder küsste und streichelte Gleichgesinnte.
    Lena machte einen Schritt in den Raum hinein, blieb dann wieder stehen und sah sich ebenso verloren wie fassungslos um. Und das sollte eine Willkommensparty sein? Wo um alles in der Welt war sie da hineingeraten?
    Auf den zweiten Blick entdeckte sie Charlotte, die sich umgezogen hatte und jetzt kein Zwanzigerjahre-Outfit mehr trug, sondern ein knapp sitzendes, aufreizendes Kleid, das eindeutig mehr zeigte, als es verbarg. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, was ihrem Gesicht einen ungewohnt strengen Zug verlieh und sie deutlich älter aussehen ließ. Lena wollte sie ansprechen, hielt aber sofort inne, als sie den entrückten Ausdruck von Charlottes Gesicht sah … und die gläserne Crack-Pfeife, die ihren kraftlosen Fingern entglitten war und in ihrem Schoß lag.
    »Was zum Teufel soll …?«, begann sie aufgebracht, indem sie wieder zu Nora herumfuhr, brach dann aber mitten im Satz ab. Nora hatte sich ein paar Schritte entfernt und wiegte sich mit halb geschlossenen Augen im Takt der Musik, und unmittelbar hinter ihr stand Tom. Er konnte gar nicht hier sein. Er hatte weder das Recht noch die Möglichkeit, hier zu sein, aber
er war es, ganz zweifellos, obwohl sie ihn nur von hinten sah: dasselbe bedruckte T-Shirt, dieselbe Statur, derselbe Haarschnitt und exakt dieselbe Haarfarbe. Hatte sich Louise ein ganz besonderes Willkommensgeschenk für sie ausgedacht?
    Als hätte er ihren Blick gespürt, drehte Tom sich herum - und war dann nicht mehr Tom, sondern ein etwa zwanzigjähriges Mädchen, das selbst von vorn noch immer Ähnlichkeit mit dem jungen Soko-Beamten hatte, nur dass ihr T-Shirt auf dieser Seite kunstvoll zerschnitten war und so den Blick auf ihre straffen Brüste lenkte.
    Einen kurzen Moment lang sah die junge Lesbe Lena nur fragend an, doch dann schien sie in ihrem Blick irgendetwas zu entdecken, was eigentlich nicht da sein sollte, und ein schüchternes Lächeln erschien in ihren Augen.
    »Na, Überraschung gelungen?«, feixte Nora. »Dacht ich’s mir doch, dass sie dir gefällt.« Sie machte eine übertrieben wedelnde Geste und nahm der nächstbesten Frau das Glas aus der Hand, um es mit einem einzigen Schluck zu leeren. »Bedien dich, Kleines. Sie gehört dir.«
    Lena starrte Toms Doppelgängerin an, und etwas … regte sich in ihr. Etwas Düsteres und Uraltes, das seit dem Tag ihrer Geburt und vielleicht schon viel länger in ihr war. Ihr Blick tastete über das markante Gesicht, das eine geradezu frappierende Ähnlichkeit mit dem Toms hatte, die sinnlichen Lippen, strich für einen Moment mit einer Bewunderung, für die sie sich selbst ein wenig schämte, über ihre

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