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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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dir, wie es geht … wenn du mir erzählst, warum du dich mit aller Gewalt abschießen willst.«
    Lena schwieg.
    »Du weißt es selbst nicht«, vermutete Nora.
    Lena schwieg auch dazu, aber Nora war der Wahrheit ziemlich nahegekommen.

    »Du weißt auch nicht, ob du hier sein willst«, fuhr Nora fort, trank ihr Glas leer und blies Lena eine Qualmwolke ins Gesicht, die durchdringend nach Marihuana roch. »Oder ob es dir gefällt. Du weißt nicht einmal, ob ich dir gefalle, oder Charlotte oder Louise. Du weißt nicht einmal mehr, ob du wirklich noch weißt, was du selbst bist.«
    Lena deutete auf die qualmende Zigarette. »Wenn man von dem Zeug da so schlaue Sachen sagen kann, dann will ich auch was davon.«
    Nora blies ihr eine weitere Qualmwolke ins Gesicht und lachte. »Würde bei dir nicht wirken. Ich zeig dir, wie’s geht, aber erst beantwortest du mir eine Frage: Willst du wirklich hier sein?«
    »Ja!«, antwortete Lena und nickte heftig, schüttelte dann aber genauso heftig den Kopf und sagte: »Nein!«, um schließlich mit den Achseln zu zucken. »Ich weiß es nicht.«
    Nora wedelte mit der Zigarette und gab den Barkeepern hinter sich einen Wink, ihr Glas neu zu füllen. »Ich glaube, du brauchst das Zeug gar nicht, um high zu werden.«
    »Warum fragst du das?«, wollte Lena wissen. Wenn Nora die Betrunkene spielte, dann tat sie es perfekt. Aber sie hörte sich nur so an, als würde sie unsinnig drauflosplappern. Was sie sagte, hatte einen Grund. Er war wichtig. Lena war sich nur nicht darüber im Klaren, für wen.
    Statt sofort zu antworten, rutschte Nora mit einer Bewegung von der Bar herunter, die ihren vermeintlich angeschlagenen Zustand Lügen strafte. Lena hielt ihr das leere Glas hin und machte ein hoffnungsvolles Gesicht, aber Nora schüttelte nur den Kopf.
    »Du brauchst keinen Schnaps, Kleines«, sagte sie, »sondern einen viel edleren Tropfen. Die Frage ist nur, ob du es auch wirklich willst.«
    Das war jetzt das zweite Mal, dass sie das sagte, und allerspätestens
jetzt begriff Lena auch, dass es kein Zufall war und auch nicht nur Mitleid mit dem verwirrten erschrockenen Kind, das sie in Noras Augen möglicherweise noch immer war.
    Und was, wenn sie recht hatte?
    »Louise sucht dich übrigens«, fuhr Nora unvermittelt in völlig verändertem Ton fort. »Keine Ahnung, was sie von dir will, aber es scheint wichtig zu sein.«
    »Deswegen hast du es mir auch sofort mitgeteilt, wie?«, fragte sie.
    »Nur keine Panik, Schätzchen«, kicherte Nora. »Zeit ist relativ, ich dachte, das hättest du mittlerweile begriffen. Wir haben jede Menge davon … vielleicht mehr, als dir lieb ist.«
    Lena stellte das leere Glas endgültig auf die Theke zurück und sah sich suchend um.
    »Nicht hier.« Nora stellte sich schwankend auf die Zehenspitzen, um genauso groß zu sein wie Lena, und deutete in die Dunkelheit hinter dem abgesperrten Bereich, die nicht einmal ihre scharfen Augen durchdringen konnten. »Madame bekommen eine Privataudienz.« Sie kicherte wieder albern. »Du darfst ins Allerheiligste! Ich hoffe, du fühlst dich entsprechend gebauchpinselt. Mir wurde diese Ehre erst nach zwei Monaten zuteil.«
    »Ich dachte, das hier wäre der VIP-Bereich.«
    »Isser auch«, nuschelte Nora und hakte sich freundschaftlich bei ihr unter. Für einen Außenstehenden mussten sie wie zwei alte Freundinnen aussehen, die einfach ausgelassen herumalberten, aber in Wahrheit zog das zierliche Mädchen Lena mit einer Kraft mit sich, die vermutlich auch ausgereicht hätte, den Eiffelturm von seinem Fundament zu zerren.
    »Das hier ist der VFIP-Bereich«, kicherte Nora, während sie eine unauffällige Metalltür ansteuerten.
    »VFIP?«
    »Very Fucking Important Persons«, sagte Nora. »War meine Idee.«

    Ja, das glaubte Lena sofort.
    Nora fummelte ungeschickt an einer kaum postkartengroßen Schalttafel neben der Tür herum und schien gewisse Schwierigkeiten zu haben, die Bewegungen ihrer Finger zu koordinieren, schaffte es dann aber irgendwie doch. Lena war sich mittlerweile sicher, dass Nora die Betrunkene nicht nur spielte, sondern hackezu war. Aber wie war das möglich?
    Die Tür sprang mit einem leisen Klicken auf und entpuppte sich als ungefähr dreimal so dick, als es von außen den Anschein gehabt hatte. Offenbar war sie hundertprozentig schallgedämpft, denn dem Klicken des elektronischen Schlosses folgte eine Flut von Geräuschen: hämmernde Musik und Stimmengewirr, das Klirren von Gläsern und Gelächter und dazu

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