Wir sind die Nacht
das?«, fragte sie. »Menschenblut?«
»Ja«, sagte Louise. »Das Blut von Tieren hält uns zwar am Leben, aber mehr auch nicht. Unsere natürliche Beute ist der Mensch.«
»Und woher kommt … das?«, fragte Lena. Nicht nur ihre Worte stockten; auch ihre Hand, die dem Glas schon nahe genug war, um die Kälte zu spüren, die es verströmte. Hunger, unbeschreiblicher Hunger wütete in ihr und schien sie innerlich in Stücke zu reißen.
»Schreiber-Pharmaceutics«, antwortete Louise. »Direkt aus der Plasmabank. Erste Wahl … hoffe ich wenigstens.«
Lena starrte sie an. »Eine … Blutkonserve?«, murmelte sie.
»Menschliches Blut ist unsere bevorzugte Nahrung«, sagte Louise. »Aber nirgendwo steht geschrieben, dass wir dafür töten müssen.«
»Und das ist … wirklich wahr?«, fragte Lena verstört. »Ihr … du bekommest das Blut aus … einer Blutbank?«
Louise nickte.
»Einfach so?«
»Nicht einfach so. Ich habe gute Beziehungen zu Schreiber. Um genau zu sein, gehört mir ein Teil der Firma. Kein besonders großer, aber genug, um unseren Bedarf zu decken, ohne dass jemand dumme Fragen stellt. Und keine Sorge - für eine mehr reicht es auch noch.«
»Warum glaube ich dir nicht?« Lenas Stimme zitterte jetzt so stark, dass sie selbst Mühe hatte, die eigenen Worte zu verstehen. Der Hunger war fast unerträglich geworden. Er tat weh.
»Weil du es nicht willst«, antwortete Louise amüsiert. »Immerhin sind wir Vampire. Mordende Bestien, die durch die Nacht schleichen und den Menschen das Blut aussaugen. Buhu-hu! « Sie hob die Hände und formte sie zu halb geöffneten Klauen, grinste dann aber nur umso breiter. »Vielleicht war es früher wirklich einmal so, aber diese Zeiten sind längst vorbei,
glaub mir. Wäre es anders, dann gäbe es uns schon lange nicht mehr.«
Das mochte stimmen oder auch nicht, aber es war auch nicht der Grund für Lenas Zögern; jedenfalls nicht jetzt und nicht hier. Vampire und ewiges Leben, Unverwundbarkeit und magische Kräfte … das alles war so bizarr und … verrückt, dass es sie nicht wirklich berührte. Trotz allem hatte es etwas von einem Traum, aus dem sie irgendwann aufwachen würde, um herzhaft darüber zu lachen.
Aber das hier …
»Es gefällt dir hier nicht«, sagte Louise.
Jetzt war Lena sich sicher, dass Louise ihre Gedanken gelesen hatte, aber auch das hatte nichts mit Magie zu tun. Vermutlich standen sie in Leuchtbuchstaben auf ihrer Stirn geschrieben.
»Wie gesagt, ich stehe nicht auf Frauen, und selbst wenn …«
»… wäre dir das hier ein Tick zu viel«, seufzte Louise. Erstaunlicherweise lächelte sie. »Mir auch.«
»Ha, ha.«
»Nur weil ich Frauen lieber mag als Männer, heißt das noch lange nicht, dass mir alles gefallen muss«, sagte Louise ernst.
»Ja, das sieht man.« Für wie dumm hielt Louise sie eigentlich?
»Das hier ist im Moment der angesagteste Lesbentreff der Stadt. Von irgendwas muss man ja leben, oder? Die hübschen Sachen, die du da anhast, und das gute Essen vorhin bezahlen zum größten Teil diese Frauen hier. Und was spricht dagegen, Geld zu verdienen und sogar noch ein bisschen Spaß dabei zu haben?«
Gar nichts, dachte Lena. Aber sie spürte auch, dass Louise log.
»Und jetzt trink«, sagte Louise.
Lena trank.
15
Genau wie beim ersten Mal hatte Nora eine Straße entfernt angehalten, um sie aussteigen zu lassen. Sie war stocknüchtern gewesen, als Lena zu ihr in den Wagen gestiegen war, und hatte während der ganzen Fahrt kein Wort mit ihr gesprochen, sondern sie nur dann und wann spöttisch aus den Augenwinkeln gemustert. Lena war es nur recht.
Das Hochgefühl, mit dem sie der grässliche Trank erfüllt hatte, war längst verschwunden und hatte dem schlimmsten Kater ihres Lebens Platz gemacht. Keinem körperlichen Kater - den würde sie nie wieder durchmachen müssen, wie ihr Louise versichert hatte -, sondern einem rein seelischen, der dafür aber umso schlimmer ausfiel. Sie hatte eine fast panische Angst, ohne sagen zu können, wovor eigentlich, und ein intensives Gefühl der Trauer, ohne zu wissen, worum sie trauerte.
Um ihr altes Leben? Kaum.
Als sie aussteigen wollte, hielt Nora sie mit einer ruppigen Bewegung zurück, lächelte aber zum ersten Mal auch wieder, seit sie losgefahren waren. »Du gehörst immer noch zur Fitnessfraktion und bestehst darauf, den ganzen Weg zu joggen?«, fragte sie.
»Die ganzen dreihundert Meter, ja«, antwortete Lena mit grimmiger Miene, lächelte dann aber ebenfalls.
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