Wir sind die Nacht
auch immer bleiben. Aber im Prinzip hat sie recht.«
»Eins verstehe ich nicht.« Lena musste sich beherrschen, um die Worte überhaupt hervorzubringen; und noch ungleich mehr, um nicht nach dem Glas zu greifen und den Inhalt gierig hinunterzustürzen. Vielleicht gelang es ihr nur, weil sie wusste, dass Louise es sowieso nicht zulassen würde.
»Und das wäre?«
Sie wollte es nicht, aber ihr Blick suchte die Lesbe mit Toms Gesicht in der Menge und blieb dann wie gebannt an ihrer Halsschlagader hängen. Die Gier war wieder da, schlimmer als zuvor. Ihre Hände begannen zu zittern.
»Ich wollte das alles nicht«, sagte Lena gereizt. »Nur falls du es vergessen haben solltest, ich habe dich nicht gebeten, mich zu beißen und zu einem … einem …«
»Vampir«, half Louise.
»… einem Ding wie euch zu machen!«, schloss Lena aufgebracht. »Erst tut ihr alles, um mich in eine von euch zu verwandeln, und dann versucht ihr es mir wieder auszureden? Was ist das? Irgendeine Art von grausamem Spiel, das ihr mit mir spielt? Macht ihr das ab und zu so? Sucht ihr euch irgendein naives dummes Ding und amüsiert euch ein bisschen damit, bevor ihr es wieder in die Wüste schickt oder einfach leer trinkt?«
»Naiv, ja«, sagte Louise. »Dumm, nein.« Sie hob ihr Glas und nippte an der eisgekühlten roten Flüssigkeit. »Es ist genau so, wie Nora und ich es dir gesagt haben. Du kannst noch zurück. Es ist schwer, und es wird mit jeder Stunde schwerer, aber noch geht es. Ich möchte nicht, dass du irgendetwas tust, was du nicht wirklich willst. Überleg es dir genau. Wenn du es in einem Jahr bereust - oder in hundert - ist es zu spät.«
Lena starrte das Glas an. Ihr Körper schrie nach dem, was es enthielt; dem Leben, das sie am Leben erhalten würde.
Dem Einzigen, was sie am Leben erhalten konnte.
Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Zwei Fragen«, sagte sie.
»Die erste?«
»Du bist … hinter mir her, oder? Ich meine nicht als Vampir, sondern … du, als Frau.«
Louise nickte.
»Warum?«
»Du bist ein hübsches Mädchen«, sagte Louise. »Und jetzt behaupte bitte nicht, dass du das nicht selbst weißt.«
»Doch«, antwortete Lena. Aber genau das war es zugleich auch. Sie war ein hübsches Mädchen, aber mehr auch nicht. Allein hier drinnen konnte sie auf den ersten Blick ein halbes Dutzend Frauen sehen, gegen die sie sich wie Quasimodos hässliche Schwester ausnahm.
»Aber du hast natürlich recht«, fuhr Louise fort, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. »Es gibt schönere Frauen als dich. Aber es gibt auch schönere Frauen als Charlotte oder Nora. Oder auch mich. Du bist etwas Besonderes.«
»Wieso?«
»Wieso bist du so scharf auf deinen kleinen Polizisten, obwohl du ihn kaum kennst?« Louise hob die Schultern. »Vielleicht habe ich mich in dich verliebt?«
»Vielleicht?«
»Ich glaube, ich hab es«, sagte Louise.
»Ich stehe nicht auf Frauen.«
Louise lachte spöttisch. »Weil in dir immer noch das brave Weibchen steckt, dessen Instinkte ihm sagen, dass es die Art weitertragen und seinem Männchen möglichst viele Welpen werfen muss. Aber diese Zeiten sind vorbei, Kleines. Das mit dem Kinderkriegen hat sich erledigt.« Sie leerte ihr Glas und stellte es auf die Bar zurück. Ihre Finger berührten dabei Lenas Hand und blieben dann ganz und gar nicht zufällig darauf liegen. »Falls das überhaupt ein Nachteil ist.«
Lena wollte ihre Hand zurückziehen, konnte es aber nicht. Schon Louises bloße Berührung lähmte sie.
»Und bevor du fragst: Was Nora dir gesagt hat, ist wahr. Ich könnte dich dazu bringen, jetzt mit mir ins Nebenzimmer zu gehen und ein paar Dinge anzustellen, von denen du wahrscheinlich noch nie gehört hast, und du würdest Stein und Bein schwören, dass es ganz allein deine Idee war … aber das will ich nicht.«
»Wieso?«
»Wenn man es so lange Zeit gewohnt ist, sich einfach alles nehmen zu können, was man haben will, dann sind Geschenke umso kostbarer«, antwortete Louise. »Außerdem bin ich nun mal eine unverbesserliche Romantikerin. Gibt es etwas Besseres, als um das Herz einer schönen Frau zu werben und es am Ende auch zu erobern?«
Gegen ihren Willen musste Lena lachen. »Und wenn du es nicht eroberst?«
»Oh, das werde ich«, sagte Louise. »Das waren aber jetzt eindeutig mehr als zwei Fragen.«
»Dabei war es genau genommen nur die erste.«
»Und Frage Nummer zwei?«
Lena deutete auf das zweite, unberührte Glas zwischen ihnen. »Was ist
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