Wir sind die Nacht
zugleich stöhnen.
Nora gönnte ihr noch einen zweiten, beinahe noch berauschenderen Schluck, dann krallte sie die freie Hand in ihr Haar,
riss ihren Kopf zurück und stieß sie von sich. Lena kreischte, bäumte sich auf und wollte wieder nach ihrem Arm greifen, aber Nora versetzte ihr eine Ohrfeige, die ihr fast das Bewusstsein raubte.
»Versuch es erst gar nicht, Kleines«, drang ihre Stimme wie durch Watte an Lenas Ohr, schwarze Watte, in der widerwärtige Spinnen krochen. »Ich kann dich auch bewusstlos schlagen, wenn es sein muss, aber eigentlich möchte ich das nicht. Ich habe keine Lust, dich zu schleppen.«
Irgendwie gelang es Lena, die schwarzen Schleier zurückzudrängen, die sie in eine verlockende andere Welt hinabziehen wollten. Als Noras Gesicht vor ihren Augen wieder zusammenfloss, war es unversehrt. Selbst die zu Asche zerfallenen Haarspitzen waren wieder da.
»Danke«, murmelte Lena benommen. »Das war …«
»Etwas, was ich lieber nicht hätte tun sollen«, unterbrach Nora sie. »Aber ich konnte ja schlecht zusehen, wie du deinen Bewährungshelfer vernaschst, oder? An dem Kerl hättest du dir ohnehin nur den Magen verdorben.«
Lena spähte zu Holden hinüber, konnte aber nichts als einen formlosen Schatten erkennen. »Was ist mit ihm?«
»Er lebt noch, keine Angst.« Nora lächelte kalt. »Auch ich habe keine Lust, mir den Magen zu verderben.«
»Danke«, murmelte Lena noch einmal. Es war völlig bizarr - aber sie war erleichtert, dass er nicht tot war. Mühsam setzte sie sich auf und begriff plötzlich, in welch erbärmlichem Zustand sie sich befand. Ihr Gesicht war mit dem Blut der toten Ratte besudelt, das allmählich einzutrocknen begann, und ihr Kleid war angekokelt und an zahlreichen Stellen zerrissen. Die Brandwunden auf ihrem Arm waren zwar verschwunden, schmerzten aber immer noch.
»Wo kommst du eigentlich her?«
»Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, Kleines«, antwortete
Nora. »Mein Porsche passt vielleicht nicht in die Gegend, aber der Wagen deines süßen Bullenfreundes auch nicht. Na ja, wir müssen hier jedenfalls weg. Kannst du laufen?«
Laufen? Sie hatte das Gefühl, fliegen und die Welt in Stücke reißen zu können! Die wenigen Schlucke von Noras Blut hatten sie mit einer ungeahnten Kraft erfüllt.
Aber da war immer noch der Vorhang aus tödlichem Licht, der den Keller entzweischnitt.
»Also gut.« Nora stand auf, streifte den dünnen schwarzen Mantel ab, der ihren Körper nahezu vollständig einhüllte, und hängte ihn ihr um. Erst als sie sie hochschlug, bemerkte Lena auch die Kapuze, die zu dem Mantel gehörte.
»Der Porsche steht oben vor dem Ausgang«, sagte sie. »Keine Sorge - die Scheiben sind gegen UV-Licht gehärtet. Wenn wir es bis dort schaffen, dann ist alles okay … falls deine liebreizenden Nachbarn uns nicht inzwischen die Räder abmontiert oder den Motor ausgebaut haben, heißt das. Aber es wird verdammt hart. Glaubst du, dass du es schaffst?«
Lena starrte den so täuschend filigranen Vorhang aus Licht an, in dem die Sonnenstäubchen tanzten. »Habe ich denn eine Wahl?«
»Nicht wirklich«, antwortete Nora.
16
Nora hatte sie gewarnt, dass es hart werden würde, aber das stimmte nicht.
Es war die Hölle gewesen.
Sie erinnerte sich nicht mehr wirklich, wie sie es in Noras Porsche geschafft hatten. Der Mantel hatte sie geschützt, wenn auch nicht annähernd so gut, wie sie es gehofft hatte, aber Nora hatte diesen Schutz nicht. Sie hatte gebrannt, als sie sich neben ihr hinter das Steuer geworfen hatte. Kreischende Schmerzen und der Geruch nach verbrannter Haut und schmorendem Haar hatten sie fast bis an ihr Ziel begleitet.
Es war Lena ein Rätsel, wie sie es bis in die Tiefgarage des Hotels geschafft hatten und wie sie hier heraufgekommen waren, ohne das ganze Hotel aufzuscheuchen. Sie hatten es geschafft, das allein zählte, aber Lena wusste auch, dass sie dem Tod noch nie so nahe gewesen war.
»Hier. Trink.«
Louise hielt ihr das dritte oder vierte eisgekühlte Glas mit Blut aus der Plasmabank hin, und Lena griff mit zitternden Fingern danach und stürzte den Inhalt hinunter.
Der Kick, auf den sie wartete, kam nicht. Louise hatte es ihr erklärt: Ihr geschundener Körper brauchte jedes bisschen Energie, um mit den furchtbaren Wunden fertigzuwerden, die die Sonne ihm geschlagen hatte. Vielleicht würde sie diesen speziellen Kick auch nie wieder spüren, jetzt, wo sie einmal das
Blut eines Vampirs gekostet hatte, aber immerhin fühlte sie
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